Über der Käsetheke hängt die Leinwand

Kinos gibt es in Lichterfelde schon lange nicht mehr, dafür seit kurzem einen Bio-Markt in einem alten Lichtspieltheater. Gekocht wird auf der Empore

Auf Puristen dürfte das stahlglänzende Bio-Kochstudio eher abschreckend wirken

VON GUILAINE TROSSAT

Einkaufen gehen – oder ins Kino? Im gutbürgerlichen Lichterfelde muss diese Frage kein Kopfzerbrechen mehr hervorrufen: Bei „Biolüske“ können Menschen mit funktionierendem Öko-Gewissen und geregelten Einkünften jetzt ökologisch shoppen gehen – in einem ehemaligen, aufwändig renovierten Kino an der Drakestraße. Ganz neu ist die Umwandlung von Lichtspieltheatern in Verkaufsflächen nicht. Nach dem ersten Kinosterben in den Siebzigerjahren verwandelten sich viele Säle in Discounterhallen, und am Ku’damm bespielen inzwischen Modelabels einige der in den Neunzigerjahren geschlossenen Einrichtungen wie Marmorhaus und Gloria. Aber ein Biosupermarkt dort, wo einst Wochenschauen und Filme flimmerten, das ist neu.

Ladeninhaber Frank Lüske lebt ganz in der Jetztzeit. Der gelernte Gartenbauingenieur steht weder auf Rock ’n’ Roll von Elvis noch auf Nylonstrümpfe. Deshalb ist er „frei von jedem Retro-Rausch“ – aber respektvoll mit den alten Mauern des einstigen Kinos „Spiegel“ umgegangen. Das Haus, 1953 eröffnet, war von den Architekten des Schiller-Theaters an der Bismarckstraße entworfen worden. 1973 musste es schließen, nach langem Leerstand wurde es in den 90er-Jahren von der „Plus“-Kette mehr funktional als künstlerisch zum Discounter umgerüstet. Erst seit dem vergangenen Sommer strahlt das alte „Spiegel“ wieder die Atmosphäre der Wirtschaftswunder-Ära aus. Die Sanierung der Fassade hat den Eingangsbereich mit Glaserker und halbrundem Vordach wieder belebt. Ältere Menschen dürften beim Vorbeilaufen instinktiv nach dem Plakat der nächsten Billy-Wilder-Komödie Ausschau halten.

Im Inneren fällt aufmerksamen Zuschauern – pardon: Kunden – die weiß gestrichene riesige Leinwand, direkt über der Käse- und Fleischabteilung, ins Auge. Wen das Einkaufserlebnis nicht völlig absorbiert, der kann sich umdrehen und die alten Zuschauerränge auf der Empore betrachten. Links und rechts wird die originale Holzverkleidung der Wände von stilechten Fünfzigerjahre-Lampen beleuchtet.

Ganz so spannend wie Kino ist das Einkaufen bei „Biolüske“ nicht – aber angenehm. Die breiten Gänge machen komplizierte Rangier- oder Verdrängungsmanöver mit dem Einkaufswagen überflüssig, das Auge freut sich über den laut Lüske „appetitanregenden“ orangefarbenen Grundton des Geschäfts. Das Ergebnis: entspannte Kunden, entspannte Verkäufer. Ein älterer Mann zählt dem Kassierer die Zutaten auf, die zum Erfolg seiner legendären Kürbissuppe beitragen, während ein Mitarbeiter versichert, ihm sei es lieber, „eine Stunde hierher zu fahren, als im Discounter an der Ecke zu arbeiten“.

Dabei täuscht die familiäre Stimmung ein wenig. Nicht nur, weil davon an einem stressigen Samstagnachmittag nichts mehr zu spüren ist, sondern auch weil Lüskes Laden Gesellschaft bekommen hat. Auf der Empore wurde vor kurzem das „erste deutsche Bio-Kochstudio“ eingeweiht. Im lebendigen Kern des Supermarkts werden Kochkurse angeboten: für Kinder, Ahnungslose und Fortgeschrittene, sogar für Männer. „Sie lernen – ganz von vorne – alles für das erfolgreiche Candlelightdinner!“, behauptet die Eigenwerbung. Zur Verwendung kommen nur Bio-Produkte aus dem Sortiment. Puristen, die am liebsten Rohkost durch handbetriebene Mühlen schieben, dürfte das Ambiente eher abschrecken. Im Lüske-Kochstudio glänzen Ceranfelder und ein stahlglänzender Weinklimaschrank, zu Tisch sitzt man später in roten, Star-Trek-würdigen Plastikstühlen.

„Essen gehört zur Kultur wie Kunst oder Literatur“, ist Lüskes Credo. Und der Mann hat noch Pläne: Themenabende schweben ihm vor, die Kino und Essen miteinander verknüpfen könnten. „Die Leute könnten sich zum Beispiel ‚Chocolat‘ von Lasse Hallström ansehen. Während dem Pralinenkurs mit einem Konditormeister.“

Biolüske, Drakestraße 50, 12205 Berlin. Kochkurse kosten 45 bis 65 Euro, 10 Euro für Kinder. Weitere Informationen im Internet unter www.biolueske.de