With God on Our Side

DAS WEIHNACHTS-SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Soll manausgerechnet an Weihnachten unschuldige Muslime betrügen?

Something is happening here, but you don’t know what it is – do you, Mr. Jones? Bob Dylan

Heiligabend gibt’s Rouladen. Ich weiß nicht, ob ich Speck reintun soll. Riyaz hat mal gesagt, er isst kein Schwein. Ich esse eigentlich grundsätzlich gar kein Fleisch – außer Rouladen und Gans an Weihnachten. Jetzt aber die Frage nach dem Speck in den Rouladen für die Muslime unterm Tannenbaum. Mit Kaveh hatte es all die Jahre davor überhaupt keine Probleme damit gegeben, er freut sich einfach über alles, was auf den Tisch kommt. Als er mal ein Jahr in Barcelona wohnte, hat er sich nahezu ausschließlich von Serrano-Tapas ernährt.

Auch Omar isst gern Schinken. Am liebsten wickelt er ihn um eine Dattel, das sei orientalischer und damit muslimischer, behauptet er. Es erinnert mich an meine Großmutter, die laut den Erzählungen ihrer Söhne gern zu Anfang des letzten Jahrhunderts ausrief: „Morgen ist Schabbes? Das lass uns mit einem guten Schweinebraten feiern.“

Omar und Kaveh leben schon lange in Berlin. Omar ist Afghane, und Kaveh kommt aus dem Iran. Seit ein paar Jahren sind sie Heiligabend in frommer Regelmäßigkeit bei mir. Ich glaube, es ist das einzige religiöse Fest, das sie feiern. Mit Leidenschaft. Sie kommen, weil hier der geschmückte Baum garantiert ist. Omar ist immer wieder besonders entzückt über den bereitstehenden Wassereimer. Zur Feier des Tages wird der mit schwimmenden Plastiklotusblüten geschmückt, was wiederum die Katze erfreut. Abfällige Bemerkungen über den glitzernd leuchtenden Tannenbaum, selbstverständlich ohne Spitze, sind verboten. Eine der Heilige-Drei-Könige-Figuren sieht aus wie Bin Laden. Diskussionen darüber, ob man als Kind darunter gelitten hat, wenn die bigotte Mutter die Blockflöte rausholte, Oma entsetzlich falsch sang oder der verhasste Vater plötzlich die Bibelnummer schob, sind wie alle anderen hiesigen kulturellen Traumata verpönt.

Nun ist Riyaz aus Indien dazugekommen. Der kennt kein Weihnachten und isst kein Schwein. Wenn ich den Speck so in die Roulade rolle, dass man ihn vor dem Servieren rauspulen kann, ist es dann so, als wäre er nie dort gewesen? Oder würde Riyaz den Schweinegeschmack erkennen? Wie könnte er, wenn er noch nie Schwein gegessen hat? Aber soll man ausgerechnet an Weihnachten unschuldige Muslime betrügen? Wie würde ich mich fühlen, wenn man mir in der Fremde Hund servieren würde? Das ist ein Argument. Also keinen Speck in die Rouladen. Als ich Riyaz meinen Entschluss berichte, atmet er erleichtert auf.

Neulich kam es bei einem Adventsessen zum Tier-Eklat, ganz ohne Muslime und Schweinefleisch. Eine Nachbarin der Gastgeber kam nicht etwa in Pantoffeln, sondern in Pythonschlangenstiefeln die Treppe rauf. Bei diesem Wetter seien sie wegen Empfindlichkeit des Leders draußen nicht empfehlenswert, erklärte sie. Vermutlich nutzte sie deshalb jede Gelegenheit zu Indoor-Events in Pythonstiefeln. Die jüngere und sympathisch auf Krawall gebürstete Schwester der Gastgeberin riss sich genau 30 Sekunden zusammen, dann brach es aber prächtig entrüstet aus ihr heraus: „Also, das muss ich jetzt einfach mal sagen: Ich finde das echt unmöglich, in solchen Stiefeln rumzurennen, wo doch gerade Pythons unter besonderem Naturschutz stehen.“

Die Gerügte ertrug’s gelassen – sie kannte solche Reaktionen, wie sie sagte, obwohl sie die Schlangenstiefel erst seit drei Wochen besaß. Ja, irgendwie hatte man das Gefühl, sie habe sich diese Stiefel eh nur gekauft, um zu provozieren. Jedenfalls trug das eindeutig zur augenblicklichen Aufhebung jedweden Fremdelns bei. Obwohl sich die eingeladenen Gäste untereinander nicht kannten, waren sie nun mitten im lebhaften Gespräch. Dafür und dagegen.

Es war eine angenehm unaufgeregte, dennoch angeregte, teilweise erheiternde und dann auch wieder nachdenklich stimmende Konversation, die mit der Frage endete: Wieso ist es schlimmer, Schlangenstiefel statt Rinderstiefel zu tragen?, was uns hier und jetzt natürlich wieder zum Schweineproblem führt – oder eben zu der Frage, warum man nicht an Weihnachten neben Gans und Hirsch auch Hund und Katze zum Knödel servieren sollte. Und Schwein.

Riyaz’ Erleichterung, dass es kein Schwein geben würde, war nicht gespielt. Es hätte ihn in schreckliche Konflikte gestürzt. Starkes Tabu gegen starke Höflichkeit. Aber im Gegensatz zu kulturellen Traumata werden Tabus hier respektiert. Deshalb auch Hund und Katze weiterhin unter statt auf den Tisch.

Grundsätzlich ist Weihnachten mit Muslimen, Juden oder Hindus natürlich viel schöner und entspannter als mit Christen. Die Buddhisten hab ich jetzt mal außen vor gelassen, weil die in unseren Breitengraden eher konvertierte Christen sind, also immer noch an den Versäumnissen von Mama und Papa nagen. Hindus haben sowieso viel Verständnis für kleine Feuerflammen, bunte Lichter und scheppernd laute religiöse Lieder; Muslime haben’s immer gern, im Kreise von vielen viel Fleisch zu essen. Nur die Juden, die stören manchmal, weil sie dieselben Ambivalenzen wie ihre christlichen Brüder und Schwestern pflegen. Will ich allein, mit Familie oder nur mit Freunden sein, bin ich jetzt etwa schon wie jeder andere deutsche Spießer, wenn ich mit anderen Braten esse, oder ist es vielleicht der endgültige Beweis dafür, dass mich keiner lieb hat, wenn ich Heiligabend allein rumhänge?

Und wenn man dann all die emotionalen Probleme einigermaßen geklärt oder verdrängt hat, dann kommen sofort die praktischen hinterher – wem schenk ich all das weiter, was mir nicht gefallen hat? Ich hatte schon einen Entsorgungsfall, noch bevor auch nur eine Kerze am Weihnachtsbaum brannte.

Weihnachten gehören auch Hund und Katze weiterhin unter statt auf den Tisch

Mein Freund Rüdiger schenkte mir das Buch „Endlich Nichtdenker! Handbuch für den überforderten Intellektuellen“. In acht Kapiteln werden – freilich famos feuilletonistisch fabuliert – vermeintlich politisch inkorrekte, in Wirklichkeit aber bildungsbürgerliche Altherrengedanken darüber zum Besten gegeben, wie unschlagbar doch das westliche Denken seit der Aufklärung ist. Einer der Vorschläge, wie man am besten Nichtdenker wird, trägt die Kapitelüberschrift „Werden Sie religiös, am besten Moslem“.

Judentum und Christentum hält der Autor für ungeeignet, andere Religionen scheinen ihm entweder unbekannt oder nicht ernst zu nehmen, bleibt nur noch der Islam. In den humorigen praktischen Übungen, die es nach jedem Kapitel gibt, schlägt er hier vor, man solle das islamische Glaubensbekenntnis mit Überzeugung sprechen und nicht dabei grinsen. „Sagen Sie die Schahada in Gegenwart von zwei moslemischen Zeugen. Glückwunsch! Sie wurden gerade in den Islam aufgenommen.“

Das erinnert mich an den Witz, den ich in Israel hörte: In einem Schaufenster liegen zwei Gehirne, ein jüdisches und ein palästinensisches. Das palästinensische ist erheblich teurer. Empört geht ein Jude in das Geschäft und fragt, wieso. „Es ist unbenutzt“, lautet die Antwort. Glückwunsch! Wir haben einen neuen Antisemitismus gefunden. Einen, den uns die westliche Welt nicht so übel nehmen wird wie den alten. Hauptsache, kein Schwein in den Rouladen.

Fotohinweis: Renée Zucker kommt aus Essen und musste dort nie Weihnachten feiern