Rätselraten um Yukos beendet

Das Konzernherzstück Yuganskneftegaz geht um die Ecke an die staatliche Rosneft. Der steht ein enger Vertrauter von Russlands Präsident Putin vor. Das Unternehmen wird also wieder politisch kontrolliert. Yukos droht mit Klage vor US-Gericht

VON NICK REIMER

Das hat selbst Wladimir Putin verwirrt. Er halte es für vollkommen rechtmäßig, sagte der russische Präsident gestern, dass der staatliche Ölkonzern Rosneft „dieses Unternehmen … äh, mir fällt der Name nicht mehr ein, Baltiskaja … Baikal … kurzum: Yuganskneftegaz gekauft hat“.

Baikal war schon ganz richtig: Völlig überraschend hatte eine bis dato unbekannte Finanzgruppe vergangenen Sonntag das Filetstück des Ölkonzerns ersteigert. Für 7 Milliarden Euro ging die Fördertochter Yuganskneftegaz an die Baikalfinansgrup. Eine Woche lang rätselte die Fachwelt, wer hinter dahinter stehen könnte. Vermutet wurde, dass der Kreml Baikal als Scheinfirma ins Rennen geschickt hatte. Gegrübelt werden muss nun nicht mehr: Gestern wurde bekannt, dass Rosneft – ursprünglich so etwas wie eine russische Treuhandanstalt für die Erdölwirtschaft – kurzerhand 100 Prozent der Baikal-Anteile übernommen hat. Das ergibt eine Konstellation im Sinne Putins: Den Vorsitz im Rosneft-Aufsichtsrat führt Igor Setschin, Putins Kanzleichef und Exgeheimdienstoffizier. Setschin wird eine zentrale Rolle beim Vorgehen gegen Yukos und dessen Besitzer Michail Chodorkowski zugeschrieben, die aber nur schwer nachweisbar sein dürfte.

Putin-Vorgänger Boris Jelzin hatte die Ölindustrie Mitte der 90er-Jahre zum Spielfeld privaten Unternehmertums erkoren – die fünf großen Ölkonzerne Yukos, Lukoil, Tjuman Oil, Surgutneftegaz und Sibneft entstanden. 1995 wurden die bis dato noch nicht privatisierten unter dem staatlichen Dach Rosneft zusammengefasst. Eine politische Entscheidung: ökonomische Effizienz spielte keine Rolle, die Rosneft-Betriebe waren über ganz Russland verstreut. Entsprechend erfolglos wirtschaftete Rosneft zunächst: Raffinerien gingen pleite oder an Konkurrenten, in der Ölregion Sacharin wurden hohe Beträge verpulvert, wertvolle Ölkonzessionen gingen verloren – etwa an die US-Firma Exxon.

Das änderte sich erst nach Putins Intervention 1998: Er machte Sergej Bogdantschikow – wie Setschin ein Vertrauter von Putin – zum neuen Chef. Der reorganisierte den Konzern und holte ehemalige Besitztümer zurück. Finanziert wurde das ganze überwiegend über eine Staatsbank. Bogdantschikows Ziel ist eine starke nationale Ölgesellschaft. Gegenüber den fünf großen Konkurrenten Russlands hat er ein wichtiges Pfund: Das Transportnetz gehört dem Staatsmonopolisten Transneft. Um an Stärke zu gewinnen, wird an einer Fusion von Rosneft und Gazprom – dem russische Gasmonopolisten – gearbeitet.

„Heute nutzt der Staat legale und Marktmechanismen, um seine Interessen zu vertreten“, sagte Putin gestern zum Rosneft-Deal. Kritiker bezeichnen solche Schritte dagegen als Schläge gegen die politischen Ambitionen von Ex-Yukos-Chef Chodorkowski. In jedem Fall ist Putins Politik nachvollziehbar: Russland ist weltgrößter Erdgasproduzent, nach Saudi-Arabien zweitgrößter Ölproduzent. Laut Weltbank erwirtschaftet die Erdöl- und Gaswirtschaft etwa ein Viertel des Bruttosozialproduktes. Beide Energieträger machen 60 Prozent des russischen Exports aus. Und dass man gut mit einem staatlichen Erdölkonzern leben kann, macht etwa Norwegen deutlich: Wegen der angesparten Gewinne von Statoil ist jeder Norweger Ölmillionär – zumindest rein statistisch.

Soweit ist Putin noch nicht. „Wir haben immer gesagt, dass sich der Käufer von Juganskneftegas Kopfweh einhandelt“, erklärte Yukos-Sprecher Alexander Schadrin. Yukos beziffert den Schaden durch den Verkauf auf 20 Milliarden US-Dollar. Konzernanwälte wollen jetzt in den USA klagen. mit DPA/AFP

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