Wahlen sind gut, Kontrollen noch besser

Zwar ist es gestern zu Betrügereien gekommen und das Janukowitsch-Lager hat noch zu stören versucht – aber die Neuauflage der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine ist insgesamt ruhig verlaufen. Doch der Kompromiss bleibt fragil

AUS CHARZISKWOLODIMIR POLOMANY,
AUS KIEW BARBARA OERTEL

Eingeengt sitzt Sergei Gula auf einem Holzstuhl und überwacht als Beobachter der Opposition die Stimmabgabe in der Stadt Charzisk im Gebiet Donzek, einer Hochburg von Wiktor Janukowitsch. Gula ist einer der Wahlbeobachter, die diesmal eine faire Wahl ermöglichen sollen. Allein die OSZE schickte gestern rund 12.000 internationale Beobachter in die 33.000 Wahllokale. 37 Millionen Wähler waren gestern in der Ukraine aufgerufen, bei der zweiten Stichwahl um das Präsidentenamt zwischen den beurlaubten Regierungschef Janukowitsch und dem Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko zu entscheiden. Bei der für ungültig erklärten Wahl vom 21. November erreichte Janukowitsch in der 140.000-Einwohner-Stadt 95 Prozent.

Die Bewohner von Charzisk, die meist in den ansässigen Fabriken und Kohlengruben arbeiten, werden relativ gut und pünktlich bezahlt. „Janukowitsch ist einer von uns“, beschreibt der Brigadier Wladimir die Stimmung vieler in der Region. „Ohne ihn wäre das nicht so. Als Juschtschenko noch an der Macht war, kam das Geld nicht pünktlich. Wir sind Russen, und Europa ist weit weg“, erklärt er das Wahlverhalten.

Die Stadt hat das Wahllokal im Arbeiterwohnheim des Metallwerks eingerichtet. Seit dem frühen Morgen stehen die Türen des Wahllokals offen. Einige Namen strich der 25-jährige Wahlbeobachter Sergei von der Wahlliste, der eine oder andere lebte nicht mehr.

Vorgestern schien die Wahl kurzzeitig noch zu scheitern. Das Oberste Gericht hatte auf Antrag von 46 Abgeordneten aus dem Janukowitsch-Lager entschieden, dass die Änderung des Wahlgesetzes, wonach der Beschluss, dass nur Invaliden der ersten Kategorie, – Schwerstbehinderte – zu Hause wählen dürfen, gegen die Verfassung verstoße. Bei der umstrittenen Wahl am 21. November war es gerade bei der häuslichen Stimmabgaben und bei der Briefwahl zu Fälschungen gekommen. Das Gericht entschied jedoch, dass auch Invaliden mit geringerer Behinderung die Wahl zu Hause ermöglich werden sollte. Bis zum Samstagabend sollten die Invaliden einen Antrag auf eine mobile Wahlurne stellen, die zu ihnen nach Hause kommt.

Die Mitglieder der Wahlkommission in Charzisk haben Mühe, auf den Beschluss zu reagieren. Am Nachmittag wird im Wahllokal um jede Stimme gekämpft. Vereinzelt tragen Janukowitsch-Anhänger hoch betagte Leute sogar auf Stühlen ins Wahllokal, damit sie für den beurlaubten Regierungschef stimmen können. Wahlbeobachter und Politikstudent Sergei Gula konnte bis zum Nachmittag jedoch keine Zwischenfälle melden oder versuchte Wahlfälschungen feststellen.

Da geht es Ljuda Krawtschenko vom Komitee der ukrainischen Wähler, die in Kiew unterwegs ist, schon etwas anders. Ihr Komitee beobachtet als eine Nichtregierungsorganisation seit 11 Jahren Wahlen in der Ukraine. Im Wahllokal Nr. 22, einem Gymnasium im Kiewer Stadtteil Solomenski, soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

„Da, sehen Sie“, sagt sie und deutet auf einen Mann, der einem Mädchen aus einem Auto heraus Geld reicht. Als diese die Beobachterin entdeckt, verschwindet sie ins Wahllokal. Die Methode ist einfach: Für das Geld, in der Regel 100 Griwna (umgerechnet 14 Euro), soll das Mädchen dem Fahrer ihren Wahlzettel bringen – unausgefüllt. Das erledigt dann der Fahrer, der der nächsten Person den Wahlschein gibt, die ihn in die Urne steckt und dafür einen unbenutzen Wahlschein wieder beim Fahrer abgibt. Doch in diesem Fall klappt der Betrug nicht, denn die Beobachterin ist dem Mädchen ins Wahllokal gefolgt.

Die Ertappte steht zunächst etwas unschlüssig herum und zerreißt dann entnervt ihren Wahlzettel. „Das haben wir zumindest verhindert“, freut sich Ljuda. Bei den beiden ersten Wahlgängen seien noch ganze Busse aus anderen Regionen bei den Kiewer Wahllokalen vorgefahren, und die Stimmabgabe sei mit besonderen Wahlscheinen erfolgt, die zum Votum außerhalb des Wohnorts berechtigten.

Mit größeren Verstößen gegen das Wahlgesetz rechnet Ljuda heute nicht – zumindest in Kiew. „Die Leute haben Angst. Sie wissen ja jetzt, dass wir da sind und jeden Verstoß sofort melden.“ Im Wahllokal selbst ist der Wahlleiter mit dem bisherigen Verlauf zufrieden. Man habe es sogar in der Kürze der Zeit geschafft, für die Behinderten eine mobile Wahlurne zu organisieren.

Nach der Stimmabgabe kommentierte Juschtschenko die Entscheidung des Verfassungsgerichts: Damit hätten Präsident Leonid Kutschma und Janukowitsch den Boden des ausgehandelten Kompromisses verlassen. Die Staatsmacht habe wieder ihr Wort gebrochen. Vor diesem Hintergrund werde er auch die Verfassungsreformen noch einmal überdenken.