Zurück ins Wüstenhafte

Postolympia 2004 verbarrikadiert sich: ein trauriger Besuch vier Monate nach den Spielen auf dem Athener Olympiagelände. Was Griechenland bleibt vom großen Fest, ist ein großer Berg Schulden

Sportives Tun ist selten geworden im schmucken Olympiastadion

AUS ATHEN BERND MÜLLENDER

Wenn Schilder Gefühle zeigen könnten, dann würde dieses hier jämmerlich weinen: Lieblos schief und verkehrt herum ist es an einer Mauer abgestellt auf dem Trainingsplatz gleich neben dem mächtigen Olympiastadion. In schmutzig heller Schrift steht „Athen 2004“ auf blauem Grund. Ein Mosaikstein olympischer Pracht noch Ende August; ausrangiert und den Unbillen der Witterung ausgesetzt keine vier Monate später.

„No entry here“ steht auf improvisierten Zetteln am Eingang, gleich wenn man die topmoderne U-Bahn an der Station Irini verlässt. Ja, aber wo ist ein Eingang? Keine hundert Meter weiter gibt es nur noch griechische Hinweistafeln. „Visit, no“, sagt freundlich im Kartenhäuschen eine Frau, die keine Karten verkauft, sondern offenbar auf das Kartenhäuschen aufpasst. Besucher sind nacholympisch nicht vorgesehen. Wo man Schlupf in den Olympiapark gefunden zu haben glaubt, fangen einen – meist höfliche – Militärpolizisten ab. Postolympia 2004 verbarrikadiert sich. No way.

Immerhin, eine Umrundung zu Fuß ist möglich, Dauer eine Stunde. Ein Meer abertausender Absperrgitter steht hinter den Sicherheitszäunen. Viele Flächen sind intensiv vermüllt mit Betonbrocken, Kabelresten, Schutt, einem zusammengeklappten Wäscheständer, reichlich Altpapier. Neben dem Schwimmstadion wuchern Wildkraut und anderes Gestrüpp um die Wette, verdecken dadurch aber teilweise den Plastikmüll.

Die riesigen Parkplätze haben neue Bestimmungen gefunden: Auf einem kurvt ein Fahrschüler für die Prüfung, auf einem anderen ist Platz genug für intensive Buswäsche. Am Südeingang verlässt eine kleine Gruppe Personen das Gelände. Ein Polizist hält schnurstracks auf sie zu. Diskussion. Fingerzeige. Dann steigen die Leute in einen Bus mit der Aufschrift „Reisedienst Grebe“. Und los. Es wirkt wie eine Flucht. Hinter dem Eingang liegt ein verdrecktes Olympia-Shirt. Davon gibt es in der Stadt noch reichlich Restbestände – mit jetzt 50 Prozent Rabatt.

4,6 Milliarden Euro sollte Athen 2004 kosten. Geworden sind es offiziell 9 Milliarden, wahrscheinlich ist es noch etwas mehr – und darin sind die Kosten für die schicke U-Bahn und den Flughafen nicht eingerechnet. Jeder Grieche – Greis bis Baby – hat 600 Euro Schulden durch Olympia. Kurzzeitigen Reibach gemacht haben einzelne: Kneipen, Taxifahrer, Autoverleiher, Pensionen mit Olympiapreisen.

Sicher, die griechische Regierung hat immer gesagt, die Spiele würden sich erst auf lange Sicht rechnen. Aber kann man einem Land glauben, dass die Euro-Einführung nur aufgrund intensiver Manipulation geschafft hat und in diesem Jahr trotz olympisch bedingtem Wirtschaftswachstum ein Haushaltsdefizit von prognostizierten 5,3 Prozent haben wird? Das Land des Fußball-Europameisters hat mit 5,3 einen neuen Europarekord aufgestellt.

Die Übernachtungszahlen in Athen sind 2004 gestiegen, aber geringer als erhofft und auch, weil 2003 durch den Irakkrieg ein besonders schlechtes Jahr war. Im Dezember wirkt selbst die Akropolis, immerhin geöffnet, wie eine verlassene Provinzruine. Nur vereinzelt stromern hier Besucher herum. Vielleicht kommen auch weniger Touristen, weil man nach der medialen Dauerberieselung während der Spiele (vier Milliarden TV-Zuschauer) Athens antike Prachten schon zu kennen glaubt. Da noch mal extra hinfahren? Doch, es lohnt schon wegen des wundervollen antiken Olympiastadions mitten in der Stadt. Allerdings nur zur Außenansicht, herein kommt man hier auch nicht.

Olympische Gewinner gibt es – aber nicht viele in Griechenland. Die deutsche Zeitschrift Horizont Sportbusiness hat gerade erfreuliche Marktforschungsdaten über die Bekanntheit einzelner Olympioniken und Sportarten vorgelegt – hierzulande. Reichlich Imagegewinner werden ausgemacht und Sponsorenabschlüsse präsentiert. „Gesichter der Spiele“ wie der Turner Fabian Hambüchen wurden mit reichlich Kooperationsverträgen der Wirtschaft belohnt. Und das NOK findet mit Mercedes-Benz einen potenten neuen „Premiumsponsor“.

Die Griechen haben mit überraschend guter Organisation Image gemacht – und es mit den tölpelhaften Grotesken um ihre Doping-Leichtathleten gleich wieder konterkariert. Lapidar meint Christopher Rodriguez, Manager des Großsponsors Visa: „Triumphe gegen die Vorhersagen haben in Griechenland Tradition.“ Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt, sagen auch Sportler gern. Ökonomen meinen: Das investierte Geld wäre bei Straßen- und Wohnungsbau ohne olympischen Anlass sinnvoller eingesetzt gewesen. Indes hat seit 1950 (Helsinki) kein so kleines und ökonomisch labiles Land mehr Olympische Spiele ausgerichtet.

Sportives Tun ist selten geworden im Olympiastadion. Zum Glück ist am Abend ein Fußballspiel. Die Riesenschüssel „Spyridon Louis“ (für fast 80.000 Zuschauer) bietet zweifelsfrei eine atemberaubende Kulisse – mit ihrem imposanten Dach von fast 80 Metern Höhe in Form zweier weißer Schmetterlingsflügel (die allein 15 Millionen Euro kosteten und trotz 8.500 Tonnen Gewicht federleicht wie eine Kunststoffplane wirken). Selbst das kühne Münchner Pendant wirkt dagegen schwachbrüstig. Aber mit jedem Schritt der Annäherung schwindet manch schöner Schein: Verkleidungen sind abgerissen oder arg verdreckt. Auf der Tartanbahn liegen Zigarettenkippen, der Rasen ist ramponiert, als hätte hier eine Woche lang ein Hammerwurf-Marathon stattgefunden. Manche Bepflanzungsareale haben sich selbst wieder rückgebaut ins Steinig-Wüstenhafte. Und Putz bröckelt in hellenischer Hitze offenbar besonders schnell.

Zwei Dinge scheinen in Griechenland Volkssport: dicke Kabelstränge immer wieder mittig durchtrennen und die bunten Eingeweide die Besucher unisoliert begrüßen lassen. Und: Ecken voll stellen. Was nicht mehr gebraucht wird (und davon gibt es offenbar reichlich), stapelt sich in Tribünenwinkeln, Treppenaufgängen und Fluren. Fengshui und Griechenland passen so gut zusammen wie Reis in die Pita.

Allein die intensiven Sicherheitsmaßnahmen haben die griechischen Steuerzahler rund eine Milliarde Euro gekostet. Der offensichtlichste Erfolg stellte sich ganz unerwartet am 15. Dezember ein: Als albanische Kidnapper einen Athener Vorstadtbus in ihre Gewalt brachten, konnte der Fahrer flüchten und im Abgang mit schnellem Griff den Bus komplett deaktivieren. Gelernt hatte er das bei den Olympiaschulungen. Damit rettete er 30 Menschen das Leben. Die Geiselnehmer waren im Bus gefangen und gaben später auf.