Ein Mann für schwierige Posten

Der neue Präsident wird trotz des deutlichen Sieges auf Kompromisse setzen – und er muss seine Anhänger zusammenhalten bis zur nächsten Wahl

AUS LWIW JURI DURKOT

Nach dem Sieg für Wiktor Juschtschenko sind die Erwartungen groß, die Last der Verantwortung ist noch größer. Auf jeden Fall wird Juschtschenko in den nächsten Wochen kein leichtes Spiel haben. Im Parlament kann sich der 50-Jährige zwar auf die größte Fraktion stützen, doch eine feste Mehrheit hat er auch mit den Bündnispartnern nicht. Die erste Probe wird ihm kurz nach seiner Amtseinführung bevorstehen – der neue Präsident muss einen Premierminister vorschlagen, der durchs Parlament bestätigt werden soll. Also wird Juschtschenko einen Kompromiss schließen müssen.

Doch auch sonst wird der charismatische Hoffnungsträger eine Gratwanderung zwischen Kompromiss und Reformen meistern müssen. Es wird notwendig sein, die Verkrustungen zu beseitigen. Viele Vertreter der heutigen Eliten haben keine weiße Weste, viele Funktionäre und Beamte haben sich womöglich strafbar gemacht – wegen Wahlfälschungen, Manipulationen oder durch Unterstützung des Separatismus.

Auch bei den Privatisierungen der letzten Monate ist nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Viele staatliche Unternehmen wurde zu Spottpreisen verkauft. Juschtschenko hat angekündigt, dass er den Großteil der Privatisierungen nicht rückgängig machen will – mit einer Ausnahme: das größte ukrainische Hüttenwerk Kryworisch-Stal soll neu verkauft werden. Das im Sommer versteigerte Werk ging in einem Wettbewerb unter Ausschluss ausländischer Teilnehmer an ein Konsortium, an dem unter anderem der Schwiegersohn des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma beteiligt ist. Doch wird Wiktor Juschtschenko um einen Kompromiss mit einem Teil der Oligarchen nicht umhin kommen. Wirtschaftspolitisch erwarten viele einen liberalen Kurs. Juschtschenko wird wohl auch versuchen, die mittleren und kleinen Unternehmen zu stärken. Dafür muss aber die Steuerbelastung reduziert und die Steuerbehörde entpolitisiert werden – bisher wurde sie oft als Instrument gegen die Konkurrenz eingesetzt.

Auch außenpolitisch sind einige neue Akzente zu erwarten. Eine enge Anbindung an Europa bedeutet aber nicht, dass Kiew Russland den Rücken kehrt. Die Beziehungen zu Moskau haben für das Land nach wie vor Priorität. Doch die innenpolitischen Reformen werden entscheiden, ob die Ukraine ein Partner für Europa sein wird, möglicherweise sogar ein Beitrittskandidat für die EU.

Bisher war Juschtschenko politisch zwar nicht immer erfolgreich, in seinen Ämtern dagegen schon. Bei seiner Ernennung zum Premierminister im Dezember 1999 hatte der parteilose Banker eine Traumkarriere hinter sich. Nach dem Studium der Wirtschaft und Finanzen arbeitete er seit Mitte der 70er-Jahre im Bankensektor, bis er schließlich 1993 im Alter von 39 Jahren Vorstandsvorsitzender der ukrainischen Notenbank wurde. Dieses Amt wollte in jener Zeit wohl keiner haben – nach dem Zerfall der Sowjetunion und einer Wirtschaftskrise brach das Bankensystem zusammen. Mit einer Jahresinflation von rund zehntausend Prozent war die Ukraine neben Georgien Spitzenreiter unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. An die Einführung einer eigenen Währung war kaum zu denken. Drei Jahre später konnte die Notenbank die neue Währung Hrywnja einführen – mit Erfolg.

Auch Ende 1999 hatte Juschtschenko als Ministerpräsident ein schweres Erbe angetreten. Wiederum wollte kein vernünftiger Politiker den Posten bekleiden. Juschtschenko hatte leere Kassen und Milliardenschulden übernommen. Ein Jahr später konnte er achtbare Erfolge präsentieren: Reformen eingeleitet, Rentenschulden getilgt, Wirtschaft im Wachstum, mehr Geld in den Kassen. Doch der Versuch, die Kohlebranche zu reformieren – das hoch subventionierte Standbein der Donezker Wirtschaftsbosse –, wurde ihm im April 2001 zum Verhängnis.

Doch Juschtschenko – passionierter Bergsteiger, Hobbyhistoriker und Kunstsammler – blieb in der Politik. Er blieb auch der mit Abstand beliebteste Politiker, obwohl er seine Anhänger oft enttäuscht hat. Sein Wahlbündnis „Nascha Ukraina“ ist als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl 2002 hervorgegangen und musste nach Fälschungen und Tricks der Regierung um Präsident Kutschma in die Opposition gehen.

Unentschlossenheit und fehlender Biss wurden Juschtschenko oft angelastet, auch mit der Organisation hat es in seinem Bündnis oft nicht geklappt. Nicht zuletzt muss er aber seine Anhänger weiterhin mobilisieren – für die Parlamentswahl 2006. Nach der am 6. Dezember mit dem Regierungslager um Präsident Kutschma ausgehandelten Verfassungsreform wird das zukünftige Parlament viel mehr Befugnisse haben, als dies bis jetzt der Fall ist.