Arbeitnehmer sind nicht gesünder, aber ängstlicher

Aktuelle Zahlen der Krankenkassen belegen einen weiteren Rückgang der Krankmeldungen in diesem Jahr. Grund: Angst vor Arbeitsplatzverlust

RUHR taz ■ Die konjunkturelle Krise und die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben in diesem Jahr zu einem erneuten Rückgang der Krankmeldungen geführt. Dies geht aus Zahlen hervor, die die AOK-Rheinland jetzt veröffentlichte. Demnach haben sich im November dieses Jahres nur 5,6 Prozent der berufstätigen Versicherten krank gemeldet, während es im November 2003 noch 5,9 Prozent waren und im Vergleichsmonat des Jahres 2001 sogar 6,7 Prozent.

Zwar liegen die endgültigen Zahlen für das Jahr 2004 erst im Februar vor, doch bereits jetzt zeichne sich ab, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz gesundheitlicher Probleme zur Arbeit gingen, erklärt die Sprecherin der AOK-Rheinland, Ellen von Itter. „Die Krankmeldungen für die Monate September bis November dieses Jahres liegen alle unter den vergleichbaren Quoten des Vorjahres“, so von Itter. Die jetzt vorgestellten Zahlen seien zudem auch auf andere Bundesländer übertragbar.

Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres hatte der Krankenstand in Industrie und Wirtschaft einen historischen Tiefpunkt erreicht. Nur 3,55 Prozent der berufstätigen Versicherten hatten sich mindestens ein Mal krank gemeldet, so die Krankenkasse. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum, dem ersten Halbjahr 2003, hatte der Krankenstand noch bei 3,91 Prozent gelegen. Nach Schätzungen der AOK wird sich dieser Trend auch im zweiten Halbjahr dieses Jahres und in den kommenden Jahren fortsetzen. „Seit 1999 ist die Zahl der Krankmeldungen stetig gefallen“, so die AOK-Sprecherin.

Über die Ursachen dieses Trends können auch die Krankenkassen nur spekulieren. „Ein Grund ist sicher die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes“, so von Itter. Daneben sei aber auch die veränderte Beschäftigungsstruktur in vielen Betrieben für die Statistik von Bedeutung. Ein großer Teil der Unternehmen beschäftige heute keine Arbeitnehmer mehr, die älter als 50 Jahre seien. „Wenn ältere, krankheitsanfälligere Menschen nicht mehr beschäftigt werden, dann fallen die auch aus der Statistik“.

Nach einer Studie des Verbands der Betriebskrankenkassen (BKK) ist die Fehlquote darüber hinaus auch abhängig von der Qualifikation der Beschäftigten, dem Aufgabenbereich und Branche, in der sie tätig sind. So liege der Krankenstand bei geringer qualifizierten Beschäftigten über dem von Hochqualifizierten, erklärte der Verband. Als Beleg führt der Verband an, dass Beschäftigte, die in der Datenverarbeitung arbeiten, nur auf durchschnittlich vier Fehltage kommen, während der Krankenstand in der Abfallwirtschaft durchschnittlich 20 Fehltage aufweisen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht die Ursachen des sinkenden Krankenstands vor allem im psychischen Druck, der auf den ArbeitnehmerInnen zunehmend lastet. „Es mehren sich die Anzeichen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt immer mehr Arbeitnehmer davon abhält, sich krank zu melden“, so Heinz Stapf-Finné, Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim DGB. Zudem zeigten die Statistiken, dass zwar traditionelle Krankheitsrisiken wie Rückenbeschwerden zurückgingen, aber immer mehr Arbeitnehmer unter psychischen Erkrankungen litten.

Auch im nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium bestätigt man, dass „vermutlich ein Zusammenhang“ zwischen weniger Krankmeldungen und der Angst vor Arbeitslosigkeit besteht. „Den Rückgang aber allein darauf zurückzuführen, wäre wohl zu einfach“, so Ministeriumssprecher Andreas Lautz.

Unterdessen meldete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dass der Krankenstand beim Automobilhersteller Opel zu den geringsten in Deutschland gehört. Hier hätten sich im vergangenen Jahr nur 3,2 Prozent der Beschäftigten krank gemeldet. ULLA JASPER