Der Scheibe-Wischer (3)
: Gleichung mit zwei Unbekannten

Zwischen den Jahren gewährt der Rechtsberater der taz, Peter Scheibe, einen Einblick in die Abgründe des deutschen Presserechts.

Ende Oktober gab es eine denkwürdige Begegnung. Nicht einmal wo sie stattfand, ist klar. Im Berliner Zoo, sagt die eine, im Tierpark, sagt der andere – was in Berlin ein großer Unterschied ist und real eine Entfernung von 12 km Luftlinie bedeutet. Aber selbst auf Geschlechter kann man sich hier nicht festlegen. Denn es begegneten sich zwei Phantome. Nennen wir sie Phantom 1 und Phantom 2.

Zur Vorgeschichte: Im Sommer erschien unter dem Titel „Das bleiche Herz der Revolution“ von Phantom 1 eine Abrechnung mit den 68ern. Als Autorin firmiert eine Sophie Dannenberg. Auch wenn das anfangs freilich eher dem Sommerloch als der wahren Bedeutung geschuldet sein mochte, zerbrach sich das Feuilleton den Kopf über die Urheberschaft wie sonst nur bei Shakespeare. Mal plädierte man für die Tochter von 68ern, mal für einen männlichen Popliteraten. Die FAZ erklärte sie sogar für identisch mit Phantom 2, welches die taz ansetzte, um mehr als die Identität von Sophie Dannenberg zu erfahren: Joachim Lottmann, der nun vollends für Verwirrung sorgt und behauptet, Sophie Dannenberg und daher mit sich selbst spazieren gewesen zu sein – ob nun im Zoo oder im Tierpark. Da für ihn die Reportage der letzte wahre Ort für Literatur, für Fiktion ist, druckte die taz seinen Text Mitte November folgerichtig als Fiktion.

Anscheinend endet das Dasein als Phantom aber dort, wo der Rechtsweg beginnt. Sophie Dannenberg erkannte sich in der fiktiven Reportage wieder und ließ die Verbreitung aller angeblichen Zitate durch eine einstweilige Verfügung untersagen. Dabei agierte sie, wie es sich für ein Phantom gehört, jedoch nicht unter ihrer Privatanschrift, sondern über ihren Verlag. Da wohl ein Gerichtsvollzieher am Freitagnachmittag nicht mehr aufzutreiben war, die Unterlassungsverfügung aber vor Auslieferung der taz zugestellt werden sollte, machten sich drei Vertreter der Kanzlei selbst zur taz nach Berlin auf, um den Gerichtsbeschluss persönlich zu übergeben.

Die Hoffnung, eine Auslieferung der taz-Wochenendausgabe würde gestoppt, weil damit die taz ein empfindliches Ordnungsgeld riskiert hätte, war jedoch unbegründet. Auch der Anwalt eines Phantoms kann sich nämlich ganz real irren, hatte er doch die falsche Firma verklagt und nahm auf Widerspruch der taz den Antrag Mitte Dezember zurück. Um die Verwirrung komplett zu machen, erfuhr man aus der Bild, dass auch taz-Autor Lottmann untergetaucht ist – ebenfalls aus ganz und gar nicht phantastischen Gründen: Auch Phantome müssen Miete zahlen. Wenigstens eine Erkenntnis, die bleibt. PETER SCHEIBE