TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Spießer gegen Spießer
Jan F. wachte eines morgens auf und sagte zu seiner Gattin, noch bevor die beiden Kinderchen Papi-rufend ins Bett gehüpft kamen, „Schatz, ich hab’s, ich weiß, wie ich mich ins Gespräch bringe: Betriebsamkeitsgeplauder ohne Originalität – das funktioniert immer.“ Aber der hypochondrische Egoist, wie der Spießer bei Horváth heißt, sieht nur sich selbst. Reflexivität sucht man bei ihm vergeblich. Deshalb muss es sich anders zugetragen haben. Eher nach dem Prinzip Kraft durch Fresse.
Also noch mal: Jan F. lag im Bett und diese ganzen pseudobefreiten linken Spießer geisterten ihm im Kopf herum. Nicht weil schon wieder einer von ihnen die Raucher in der antiintellektuellen Unterschicht verortet oder einen Elternabend einberufen hatte, um über die Einführung von Bioessen in der Schulkantine zu diskutieren und die Lehrer, allesamt Zonis, wieder bloß sagen würden: „Älsö bei üns wör dös immer schon sö.“
Nein, Jan F. fragte sich plötzlich, wie er Ende vierzig werden konnte, ohne jemals dagegen gewesen zu sein oder gegen seine Eltern rebelliert zu haben. Diese verdammten linksliberalen Eltern, norddeutsch, mit Hang zum Protestantismus, kein Wunder, dass ein Karrierist aus ihm geworden war. Er hatte hier und da was über den Habitus der Linken gelesen, nun würde er all das noch einmal zusammenfassen und es denen mal so richtig zeigen. Und dann: Beifall von der Springer-Presse, wow.
Also. Die Frauenbewegung: nichts als eine klägliche Opferformation; Migrationspolitik ohne Selektion: geht gar nicht; die Deutschen: Menschen von erstaunlicher Gutmütigkeit; die Linken: Schmarotzer, ohne Sinn für deutsche Leitkultur. Und so weiter.
Komisch, diese Dinge stehen auch so im neuen Buch des Spiegel-Redakteurs Jan Fleischhauer. Es heißt „Unter Linken“ (Rowohlt Verlag). Noch mal von vorne.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz
Foto: privat
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