: Hüte und Wale heben ab
REPRINTS Tomi Ungerer, Mari, Rüdiger Stoye – drei erstaunliche Kinderbücher neu entdeckt
VON EVA-CHRISTINA MEIER
Sobald Erwachsene zu Erziehungsberechtigten werden, erinnern sie sich auch wieder lebhaft an ihre bevorzugten Bilderbücher und Geschichten aus Kindertagen – damals in der alten Bundesrepublik oder der ehemaligen DDR. Doch auch wenn Klassiker der Kinderliteratur wie „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“, „Die kleine Raupe Nimmersatt“ oder die Wimmelbücher von Ali Mitgutsch immer erhältlich blieben, sind viele der gern gelesenen Titel aus den Siebzigerjahren verschwunden oder nur mit Glück antiquarisch zu erstehen.
Aber jenseits mütter- oder väterlicher Nostalgie gibt es andere überzeugende Gründe, sich über die Neuauflage einiger „alter“ Kinderbücher zu freuen: Mit „Der Hut“ von Tomi Ungerer legt der Diogenes Verlag ein weiteres Mal ein lang vergriffenes Buch aus seinem Verlagsprogramm vor. Erzählt wird hier von dem bettelarmen Kriegsveteranen Benito Badoglio, der durch Zufall in den Besitz eines vornehmen Zylinderhuts gelangt. Der Hut verfügt über magische Kräfte, und so greifen Herr und Hut bald rettend in eine Reihe brenzliger Situationen ein. Besonderes Vergnügen bereitet es, beim Vorlesen nach versteckten Anspielungen zu suchen und Verweise zu entdecken, wie die von Ungerer großartig an Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ angelegte Szene, in der ein brennender Kinderwagen eine Freitreppe hinunterstürzt.
Das Bilderbuch „Der Apfel und der Schmetterling“ von Iela Mari und ihrem Mann, dem Mailänder Produktdesigner Enzo Mari, kommt ohne ein einziges erklärendes Wort aus. Formschön gestaltet wie eine Olivetti, in grafisch klaren Bildern geht das Buch Seite für Seite einem naturwissenschaftlichen Rätsel auf den Grund: Wie kommt der Wurm in den Apfel? In Italien erschien „La mela i la farfalla“ (Originaltitel) erstmals 1969 und wurde im darauf folgenden Jahr mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Auch „Der Wal im Wasserturm“, ein Bilderbuch des Hamburger Buchillustrators Rüdiger Stoye von 1971, wird inzwischen ebenfalls vom Moritz Verlag neu verlegt. Der sechsjährige Jan, Sohn des Hamburger Wasserturmwärters, fängt beim Angeln einen seltsamen Fisch. Im Zoologischen Institut findet eine Gruppe von Wissenschaftlern heraus, dass es sich hierbei um einen jungen Wal handelt. Sie raten dem Jungen, ihn bald wieder in der Elbe auszusetzen. Aber Jan will sich von dem Tier gar nicht trennen, und so verstecken sein Vater und er den noch kleinen Wal im Becken des Wasserturms. Doch der Wal wird nun immer größer, und das hat schwerwiegende Folgen sowohl für den Wasserturm als auch für die Bewohner der Stadt. Da hilft nur eine abenteuerliche Hubschrauberrettungsaktion.
Achtunddreißig Jahre gehen nicht spurlos an diesem Bilderbuch vorüber. Nur sind es nicht die überraschend fantastischen Wendungen der Erzählung und auch nicht die ungewohnt dunklen, aber eben nicht harmlosen Illustrationen, die heute irritieren. Es ist die Darstellung einer Expertenrunde im Zoologischen Institut, die bei einem vierjährigen Leser die Frage aufwirft: „Warum sind das hier nur Männer?“
■ Tomi Ungerer, „Der Hut“. Diogenes 2009 (1972), 12,90 €■ Iela und Enzo Mari, „Der Apfel und der Schmetterling“. Moritz Verlag 2009 (1969), 12,90 € ■ Rüdiger Stoye, „Der Wal im Wasserturm“. Moritz Verlag 2008 (1971), 13,80 € Alle Bilderbücher ab 4 Jahre
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