Aus der Schulter

In Lankwitz spannt das Unterbewusstsein: Die „Preußenpark-Hunter“ praktizieren noch traditionelles Bogenschießen. Dabei ist alles nur eine Frage des richtigen Körpereinsatzes und des Aufbautrainings

VON TOM WOLF

Es wird ein kalter Winterabend. Am Kamenzer Damm, auf einem wild verwucherten Grundstück, steht ein kleines Grüppchen von Unentwegten zwischen bunt bemalten Bauwagen und versucht beim Reden warm zu bleiben. Nicht Wagenburgidealisten sind es jedoch, wie man denken könnte, sondern Bogensportinteressierte.

Ein Robin-Hood-Emblem ziert das große Schild am Eingang. „Freestyle is our Lifestyle“ steht noch darauf und der Name der Anlage: „Preußenpark-Hunter“, der sich vom benachbarten Tennis- und Squash-Center ableitet. Hunter, sprich Jäger, sind die Lankwitzer Bogenschützen indes nur in ihrer Fantasie. Das jagdbare Wild besteht aus Papierbildchen, auf Zielscheiben gepinnt.

Der Atem bildet kleine Wölkchen. Alle sind froh, dass es jetzt los geht. Michael Schräer, Firmenchef von „Schräer Bogensport“, bittet zur „Schnupperstunde Traditionelles Bogenschießen“ in einen beleuchteten Schießstand. Letztes Silvester kam ihm die Idee einer öffentlichen Bogensportanlage an dieser Stelle. Er sah den Wildwuchs neben der Sporthalle, erkundigte sich beim Besitzer des Grundstückes und wurde Pächter. In wenigen Monaten errichtete er Berlins ersten und einzigen Bogenparcours, zog Pfeilschutzwände und installierte eine Beleuchtungsanlage.

Zur Einstimmung zeigt Schräer seinen Zuhörern einen urweltlich anmutenden Langbogen, den er vor Jahren einem Sportsfreund abkaufte. Damals bestritt er noch olympische Bogenschießturniere nach den Regeln der Fita (Féderation Internationale de Tir à l’Arc). „Der traditionelle Bogner schoss mit diesem einfachen Holzbogen besser als die meisten Schrauber mit ihren Visieren und aufgemotzten Hightechbögen, wie man sie zuletzt bei der Olympiade sehen konnte.“

„Back to the roots“, so Schräer, sei von da an sein eigener Weg verlaufen. Nach dreißig Jahren olympischen Schießens wurde er bei den traditionellen Bogenschützen heimisch. Die Anfänger bekommen nun verschiedene Bogentypen in die Hand und dürfen sich mit aller Kraft bemühen, die Bogensehnen für wenige Zentimeter auszuziehen. Michael Schräer muss die aufkommende Mutlosigkeit bekämpfen: „Das ist alles nur eine Frage des richtigen Körpereinsatzes und Aufbautrainings!“

Klamme Finger holen orthopädische Gummibänder aus einem Plastiksack. Man stellt sich im Kreis auf. Dann wird die beim Bogenschießen entscheidende Schulter- und Rückenmuskulatur aktiviert. Mit einem Riesenbizeps, so Schräer, könne man wohl den stärksten Bogen „ziehen“, aber ein gleich bleibend gutes Schießergebnis würde man nie erzielen. Allein der Auszug mithilfe der Schulterspannung ermöglicht einen geraden, ruhigen Schuss.

Michael Schräer zeigt den Bewegungsablauf: wie man sich richtig hinstellt, den Bogen anpackt, die Sehne unter Einsatz der Rückenmuskeln zum Jochbein hin auszieht und dort für einen Augenblick verankert. Der ruhige „Release“, das Abschießen des Pfeils, erfolge unwillkürlich beim letzten Anspannen der Bänder zwischen den Schultern. Man müsse sich, formuliert er, „vom Schuss überraschen lassen“. Die Gummibänder schnappen wiederholt.

Den Fehler, zielen zu wollen – etwa indem man über die Pfeilspitze die Scheibe anvisiere –, dürfe man auf keinen Fall machen! „Bloß beim Schießen auf den Punkt blicken, den man treffen will. Den Rest erledigt das Unterbewusstsein!“ Die Schnupperstundenteilnehmer sind irritiert. Nicht zielen und trotzdem treffen? Schießen aus dem Bauch heraus? Traditionelles Bogenschießen hatten sie sich anders vorgestellt.

Der Höhepunkt des Abends ist da. In drei Durchgängen wird mit einem Recurvebogen auf eine 15 Meter entfernt stehende Zielscheibe geschossen. „Merken Sie, wie Ihr Unterbewusstsein reagiert?“, fragt Michael Schräer beim zweiten Durchgang. Und wirklich kann man einigermaßen verblüfft auf der Zielscheibe ablesen, dass sich etwas tut. Die Pfeile stecken deutlich näher beieinander als am Anfang, obwohl niemand gezielt hat.

Das Ziel der Schnupperstunde ist damit getroffen. Wer jetzt gewillt ist, seine Übungen unter fachmännischer Anleitung fortzusetzen, kann einen von Michael Schräers Aufbaukursen belegen. Um den Anreiz noch zu erhöhen, führt er die Interessenten über den Parcours, auf dem 20 Zielscheiben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zu bewältigen sind. Beim Rundgang durch das am Abend effektvoll beleuchtete Areal regt sich bei einigen schon der „Hunter“-Instinkt.

Natürlich mögen die auf die Scheiben gepinnten Tierbilder für manche zart besaitete, vegetarische oder gar vegane Seele abschreckend wirken. In Lankwitz durch hohes Gras, Gestrüpp und Unterholz einer wildromantischen Hügellandschaft zu pirschen und mit eigenem oder geliehenem Bogen auf Hase, Auerhahn und Grizzly zu schießen, ist aber eine ökologisch völlig kontrollierte Angelegenheit. Selbst der Fuchs, der wahrhaftig vor einem Feldrain entlang „schnürt“, ist nur eine Tierbildscheibe, die an einem Drahtseil hängend am Horizont vorüberrollt. Freund Reinecke kommt, wenn man auf einen Magnetschalter tritt.

Preußenpark-Hunter, Kamenzer Damm 34, 12249 Berlin-Lankwitz; Winter-Öffnungszeiten: Sa, So und Feiertage: 14–20 Uhr, Mi 16–20 Uhr. Info-Hotline: (01 72) 3 19 66 66. Weitere Infos (etwa zu den nächsten Schnupperstunden, Kursen und Preisen) unter www.bogenschiessen-berlin.de