DEUTSCHE GESCHICHTE
: Unverzichtbare Barbarei

Die deutsche Geschichte ist kurz. Sie dauert gerade einmal zwölf Jahre: von 1933 bis 1945. Davor mag es etwas gegeben haben und danach auch. Aber das sind nur Vergangenheiten. Geschichte – als etwas, das als Erzählung gegenwärtig geblieben ist – sind nur die Jahre der Barbarei. Der Nationalsozialismus und der Holocaust gelten heute als Dreh- und Angelpunkte der deutschen Geschichte.

Und die Deutschen sind alles andere als ein geschichtsvergessenes Volk. Das Thema bestimmt die familiären Tradierungen, dominiert die Lehrpläne in den Schulen und ist ein festes Element in den Zeitungsfeuilletons. Keine Kinosaison ohne zwei bis drei Filme, die im Dritten Reich spielen. Keine Fernsehwoche ohne Nazidoku. Keine Buchhandlung ohne Hitler-Tisch.

Ist das nicht allemal besser als das Verdrängen oder gar Leugnen der deutschen Verbrechen? Sicher. Aber Illusion ist die Vorstellung, das Bewusstsein der historischen Katastrophe bewahre vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen oder politischen Irrtümern in der Gegenwart.

Im Gegenteil: Was ist nicht alles mit verspätetem Antifaschismus begründet worden: das Macht- und Meinungsmonopol der SED im Osten, die Reideologisierung durch die 68er im Westen, die Enthaltsamkeit der deutschen Außenpolitik unter Kohl und die Aufgabe dieser Haltung unter Schröder und Fischer. Auschwitz ist ein starkes Argument – leider ist es vielseitig verwendbar.

Doch auch jenseits von politischer Instrumentalisierung scheint die deutsche Psyche einen hohen Hitler-Bedarf zu haben, der in Krisenzeiten, wie den aktuellen, sogar noch steigt. In anderen Ländern erfüllt Nationalstolz diese Funktion: Dort wird, wenn alles wankt, Bezug genommen auf ein simples, oft imaginiertes Set von Eigenschaften und Werten, die ein Volk angeblich unverwechselbar machen. Diese Form von Patriotismus gibt es in Deutschland nicht mehr. Aber wir haben ja den Nationalsozialismus: Nur wir Deutschen mussten uns mit dieser Art Verbrechen auseinander setzen. Deren Einmaligkeit macht auch uns unverwechselbar. ROBIN ALEXANDER