: Kampf im Brüsseler Dschungel
Im Machtpoker der Europäischen Union vertritt Nordrhein-Westfalens Brüsseler Vertretung diskret die Interessen des größten Bundeslands – und wird zu oft abgehängt: Als vorbildlich gilt Bayern
AUS AACHENTORSTEN SCHÄFER
Die Aufregung der nordrhein-westfälischen Chemielobby war groß: Nach Plänen der EU-Kommission sollte die Branche die Gefährlichkeit von 10.000 nicht getesteten Altstoffen abschätzen, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind. Die Landesregierung startete ein 200.000 Euro teures Planspiel. Resultat: Viele kleine und mittlere Unternehmen seien durch die Nachkontrolle überfordert. „Die Ergebnisse wurden auf nationaler und EU-Ebene eingebracht und sind auf großes Interesse gestoßen“, sagt NRW-Europaminister Wolfram Kuschke (SPD). Derzeit diskutieren EU-Parlament und Ministerrat einen Entwurf der Kommission, der nun auch die Bedenken aus NRW enthält.
Erfolg auf ganzer Linie? Wohl nicht ganz. „Das war in letzter Sekunde. NRW hätte bei der Chemikalienverordnung noch mehr erreicht, wenn es früher reagiert hätte,“ sagt ein erfahrener EU-Korrespondent.
Das Kommunikationsnetzwerk aus informellen Treffen, Diskussionsrunden, Empfängen, Veranstaltungen und hartem Klinkenputzen muss funktionieren, wenn Düsseldorf in Europas Machtzentrale gehört werden will. Wichtiger Partner für die NRW-Lobbyisten ist die zweite Ebene unterhalb der Kommissare, die Kabinette mit ihren Generaldirektionen. Sie beschließen einen Großteil der Gesetzesentwürfe, um den Kommissaren Detailarbeit zu ersparen. Er selbst bekomme nur 20 Prozent der Entscheidungen zu sehen, hat SPD-Industriekommissar Günter Verheugen einmal gesagt – zum Kabinett des Rheinländers pflegt Düsseldorf besonders intensive Kontakte. „Nationalität und Herkunft sind besonders wichtig, im Zweifelsfall wichtiger als Parteizugehörigkeiten“, weiß ein Insider.
Jedes Bundesland entsendet vorübergehend „nationale Experten“ in die Kommission, die dort reguläre EU-Mitarbeiter unterstützen. Zur Zeit sind zehn NRW-Beamte in der Brüsseler Machtzentrale. „Die machen loyal ihre Arbeit, haben aber auch NRW-Interessen im Hinterkopf“, sagt Kuschke. Der CDU-Landtagsfraktion reicht das nicht: „Wir müssen mehr Leute nach Brüssel schicken. Wenn jemand dort war, sitzt er später in Düsseldorf oft an der falschen Stelle. Sein EU- Wissen bleibt ungenutzt“, kritisiert die europapolitische Sprecherin Ilka Keller.
Vorbildlich scheint da die Personalpolitik Bayerns, das als Klassenprimus im Länderlobbyismus gilt. Nicht wegen des protzigen Schlosses, in dem die Vertretung jetzt residiert, „sondern weil sie oft früher an den Dingen dran sind als NRW“, so der Korrespondent. Ob Brüssel oder Straßburg, jede Sitzung des Parlamentes und des Ausschusses der Regionen werde besucht. „Von deren Präsenz kann NRW lernen,“ bestätigt die Christdemokratin Keller.
Denn zu oft herrscht Streit im vielstimmigen deutschen Europalager. In Brüssel wird bereits von „German Vote“ gesprochen, einer Stimmenthaltung der Deutschen, die sich wieder einmal nicht einigen konnten. „Oft ist die Abstimmung zwischen Ressorts der Bundesregierung nicht optimal“, kritisiert auch Kuschke – wie etwa in der vorerst gescheiterten Föderalismuskommission: Deutschland sollte in der Europapolitik mit nur einer Stimme sprechen, der Artikel 23 des Grundgesetzes zu Gunsten des Bundes geändert werden. Kuschke ist dagegen: „Wir können nicht einfach von unserer Position in Bereichen abrücken, wo wir Gesetzgebungskompetenzen haben.“ Die Absprache zwischen Bund und Ländern müsse eindeutig verbessert werden, die Bundesregierung informiere die Länder oft zu spät: „Entscheidend ist, dass wir am Ende in Brüssel mit einer Stimme sprechen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen