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Der Kaninchenzauberer

Provokant verzerrte Sichtachsen, an denen Joseph Beuys allerdings scheiterte: Noch drei Wochen lang ist „Die Kunst des Spiegel“ in den hiesigen Deichtorhallen zu sehen

Man hätte gern seine Reaktion auf dieses Bild gesehen: Als Rambo zierte George W. Bush das Spiegel-Titelbild 08/2000: martialisch ausgerüstet mit Maschinengewehr, Patronengürtel und einer Erkennungsmarke, der Brezel! Hinter ihm gruppieren sich als Heroen der amerikanischen Kulturgeschichte seine Krieger Rumsfeld und Co. als Terminator, Batman und Conan. Eine außerordentlich treffende Persiflage auf den Kampf der Bush-Krieger gegen das Böse und die Skepsis der europäischen Welt.

Und kaum ein anderes Titelbild als das des französischen Künstlers Jean-Pierre Kunkel stieß auf solch große Resonanz und hat sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt, obgleich das illustrierte Titelbild des Spiegel auf dem Zeitschriftenmarkt bis heute ein Unikat ist. 1956 druckte der Spiegel, dessen Titelbildern die aktuelle Ausstellung in den Deichtorhallen gilt, die erste Auftragsillustration des Künstlers Boris Artzybasheff – ein Porträt des italienischen Bürgermeisters von Florenz – und löste damit die schlichten Porträtfotos ab. Über 200 Original-Illustrationen von 60 Künstlern sind dort – neben den Titelbildern – derzeit zu sehen.

Die Schau rückt die Künstler und ihre Arbeiten in den Mittelpunkt, sie zeigt Öl- oder Acrylmalereien, Aquarelle, digitale Arbeiten oder Federzeichnungen, ein Video erläutert die Entstehung eines Titelbildes von der Idee bis zum Druck. Die Werke renommierter Künstler wie Braldt Bralds, Rafal Olbinski, Alfons Kiefer oder Ludvik Glazer-Naudé vermitteln einen Einblick in die Politik- und Zeitgeschichte, sie zeigen indivuelle Techniken und Zugänge.

In einer schlichten Federzeichnung machte sich etwa 1984 die Cartoonistin Marie Marcks über Eltern-Kind-Dialoge lustig. Die perfekte Illusion einer Fotografie schuf dagegen Alfons Kiefer in seinem Werk Die Aufklärung – Wer lügt? zur Spendenaffäre der CDU: Ex-Kanzler Helmut Kohl, von hinten abgebildet, hebt die rechte Hand zum Schwur, während sich die Finger seiner linken Hand hinter seinem Rücken kreuzen.

Im Zeitalter der digitalen Fotografie hält der Spiegel noch an der Praxis fest, Illustratoren mit der Gestaltung des Titelbildes zu beauftragen. Die Vorgaben an die Illustratoren sind klar, etliche Künstler aber – auch Joseph Beuys – sind daran gescheitert: Hintergründig, eindeutig und doch auch mehrsinnig müssen die Titelbilder sein, sie müssen mehrdimensionale Inhalte klar transportieren, ohne die Realität eins zu eins abzubilden. „Ein gutes Titelbild ist Metapher für die Aussage der Geschichte“, erklärt Spiegel-Chef Stefan Aust. Die Werke sind so mal provokant wie der göttliche Teufel von Ludvik Glazer-Naudé, das Weihnachten 1996 einen mit dem Heiligenschein jonglierenden Teufel zeigte, hinterlistig wie Boris Artzybasheffs Darstellung Franz Josef Strauß‘ oder amüsant: 1983 ließ Horst Haitzinger Helmut Kohl nach seinem Wahlsieg Kaninchen aus einem Hut zaubern.

Im Gegensatz zu Ex-Kanzler Kohl aber, der bis heute jeden Kontakt mit dem Spiegel verweigert, dürfte George W. Bush gut auf das Nachrichtenmagazin zu sprechen sein: Begeistert von Kunkels Illustration, orderte das Weiße Haus drei Exemplare, die nun vermutlich neben den Porträts der Ex-Präsidenten die dortigen Wände zieren. Besser als vom Spiegel haben sich Bush und seine Krieger wohl von keinem verstanden gefühlt.

Christine Schams

Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; bis 20.1.

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