Die zehn Gebote des Jahres

2004 gab es eine Menge ungewöhnlicher Auktionen. Böse Geister und angeschimmelte Toastbrote, die Bettwäsche von Egon Krenz, ein ICE und sogar ein Haufen Matsch fanden im Internet zahlkräftige Kunden – gegen das jeweils höchste Gebot
VON JAN BRANDT

Der Geist und der Krückstock von Collin Andersons totem Großvater, 65.000 Dollar, eBay

Großväter können lästig sein. Manche sind so lästig, dass sie einen noch nach ihrem Ableben verfolgen. Der sechsjährige Collin Anderson aus Gary, im US-Bundesstaat Indiana, begegnete dem Geist seines vor kurzem an Lungenkrebs gestorbenen Großvaters regelmäßig. Also fragte Collin Anderson seine Mutter, ob sie den Geist nicht über eBay versteigern könnten. Anfang Dezember stellte sie den Geist und auch den Krückstock ihres Vaters ins Netz.

Nach fünf Tagen und vierunddreißig Geboten hatte das Online-Casino GoldenPalace.com zugeschlagen und Geist und Stock für 65.000 Dollar ersteigert. Collin, der übrigens nach seinem Großvater benannt ist, fühlt sich jetzt sicher. Der Geist des toten Collin dürfte aber über die Aktion des lebenden Collin nicht gerade erfreut sein. Gut möglich, dass er bald wieder im Schlafzimmer seines Enkels auftaucht.

„Virgin Mary Blessed Grilled Cheese Toast Sandwich“, angebissen 1994, 28.000 Dollar, eBay

Die abergläubische Diana Duyser traute ihren Augen nicht, als sie vor zehn Jahren in ein Käsesandwich biss. Im Muster der gerösteten Oberfläche erkannte sie ganz eindeutig die Heilige Jungfrau Maria. Also packte die 52-jährige Schmuckdesignerin aus Hollywood, im US-Bundesstaat Florida, das angebissene Sandwich zusammen mit ein paar Wattebäuschen in eine Klarsichttüte und legte es auf ihren Nachttisch. Sie hoffte, es werde ihr eines Tages Glück bringen. Und es brachte ihr Glück: Im Casino gewann sie bei mehreren Spielen etwa 70.000 Dollar.

Offenbar kam sie irgendwann dennoch in finanzielle Schwierigkeiten – und entschloss sich, das trockene Brot über eBay zu verkaufen. Mehr als 1,7 Millionen Menschen verfolgten die Auktion, zwischenzeitlich stieg der Preis auf 20 Millionen Dollar. Die meisten Bieter erlaubten sich aber nur einen Scherz. Nicht so das Online-Casino GoldenPalace.com. Das ersteigerte das so genannte Virgin Mary Blessed Grilled Cheese Toast Sandwich schließlich für 28.000 Dollar. „Wir wollten es unbedingt haben“, sagte Firmensprecher Monty Kerr und erklärte, dass GoldenPalace das Marien-Sandwich als „Teil der amerikanischen Popkultur“ betrachte.

Ein Klumpen Matsch vom Glastonbury-Musikfestival, 490 Pfund, eBay

Die Preise für Glastonbury-Tickets gehen gerne mal ins Astronomische, auch wenn Musikfreunde oft nur stundenlang in Regen und Schlamm stehen.

Verständlich, dass manche versuchen, das Geld wieder reinzubekommen. Einige kamen im Sommer 2004 auf die Idee, den Matsch, der sich an Schuhen und Kleidungsstücken festgesetzt hatte, über eBay wieder loszuwerden. Einem gelang es. Für 490 Pfund. In der Beschreibung hieß es: „In Plastiktüte eingepackt sollte es schön feucht bei Ihnen ankommen, voll mit dem besten Glastonbury-Morgentau (wir sind um 7:15 Uhr heute Morgen abgereist).“ Der Schlamm sei vor der Haupttribüne aufgesammelt worden, auf der Oasis, Morissey und Paul McCartney spielten. Der unbekannte Anbieter gab Interessenten den Rat: „Kaufen Sie ihn, bewahren Sie ihn gut auf – und lieben Sie ihn. Füllen Sie Ihren Blumenkasten mit ihm oder finden Sie einen besonderen Platz in Ihrem Garten, pflanzen Sie Ihre Samen ein und beobachten Sie, wie sie aufgehen. Erzählen Sie Ihren Freunden, Sie seien beim Glato dabei gewesen, und das sei der Beweis.“

Das linke Bein einer Statue von Saddam Hussein, 9.800 €, bei Azubo

Fallen Diktaturen, fallen auch die Symbole der Macht. Die Statue von Saddam Hussein auf dem Paradies-Platz in Bagdad wurde am 9. April 2003 vom Sockel gerissen und von einer wütenden Menge zerteilt. Das linke Bein soll von britischen Soldaten nach Bremerhaven geschmuggelt und an einen Schrotthändler verkauft worden sein. Das behauptet jedenfalls der Anbieter mit dem Codenamen „paul911“, ein Hobbyantiquitätenhändler aus Duisburg.

„paul911“ brachte das Bein in seinen Besitz und war glücklich, ein so bedeutendes Stück Metall sein Eigen nennen zu können. Irgendwann bekam er aber Panik. Und nachdem die Angst, Islamisten könnten ihm Saddams Bein abjagen, immer größer geworden war, wollte er es unbedingt wieder loswerden und startete eine Auktion beim Online-Auktionshaus Azubo aus Oberhausen. Dort wurde das linke Bein Anfang November versteigert. Den Zuschlag erhielt zunächst ein 22-jähriger Bochumer für 9.800 Euro. Dann musste die Auktion aber wegen eines Hackerangriffs abgebrochen werden. Und da die Statue von Saddam unter die „nicht verkaufbaren Kulturgüter“ fällt, prüft derzeit die Staatsanwaltschaft, ob das Bein überhaupt versteigert werden darf.

Ein geschenkter Plumpudding von Queen Elizabeth II. aus dem Buckingham Palace, 29 €, eBay

Zu Weihnachten schenkt Queen Elizabeth II. allen Angestellten des Buckingham Palace einen Plumpudding. Eigentlich sind die Desserts zum Essen da, aber natürlich können die Bediensteten damit machen, was sie wollen. Ein 25-Jähriger hoffte, mit dem Pudding sein Gehalt aufbessern zu können – und versuchte, die Nachspeise für 29 Euro über eBay zu verkaufen. Um die Echtheit zu belegen, benutzte er Originalzertifikate des Königshauses. Das beschwor allerdings den Zorn der Queen herauf, weil solche Dokumente nicht ohne Genehmigung veröffentlicht werden dürfen. Die Auktion wurde gestoppt, der junge Mann entlassen.

Die Hauptrolle in dem Fernsehfilm „Wer ist eigentlich Paul?“ von Ralf List, 38.050 €, eBay

Da quälen sich junge Menschen monatelang in Casting-Shows für ein wenig Prominenz – und könnten es dabei so einfach haben. So einfach jedenfalls wie Thomas Paul Littke, ein 38-jähriger Arzt aus Merzhausen bei Freiburg. Der bot 38.050 Euro bei eBay dafür, in dem Film „Wer ist eigentlich Paul?“ den Paul spielen zu dürfen. Die Handlung ähnelt der von Sönke Wortmanns Kinoerfolg „Der bewegte Mann“: Der heterosexuelle Paul lebt mit drei homosexuellen Mitbewohnern zusammen – eine offenbar prägende Erfahrung, die ihn vom Verlierer zum Gewinner macht.

Das Budget hatte Regisseur Ralf List mit 150.000 Euro veranschlagt. Immerhin zwei Drittel der Produktionskosten kamen durch die Versteigerung von insgesamt 24 Rollen herein. Die merkwürdige Finanzierung hat Methode, denn ursprünglich sollte „Wer ist eigentlich Paul?“ der Pilotfilm einer Fernsehserie werden, in der jede neue Staffel über eBay besetzt wird. Nun aber hat sich ein Kinoverleih gefunden, der den Film schon im Frühjahr 2005 auf die Leinwand bringen will – und nicht ins Fernsehen. Die Finanzierung ist gesichert, die Rollen sind gekauft – nur leider geht das Modell nicht in Serie.

Ein ICE-Zug der Deutschen Bahn für einen Tag und 368 Fahrgäste, 30.200 €, eBay

Endlich einmal pünktlich ankommen, ohne Reservierung einen Platz im ICE bekommen und alle Freunde mitnehmen – das wünschen sich viele Reisende der Deutschen Bahn. Und diesen Traum machte das Unternehmen im April wahr. Es versteigerte eine Butterfahrt für 368 Fahrgäste. Den Zuschlag erhielt die nordrhein-westfälische Firma Tobit Software AG. Das Personal stellte die Bahn, und Tobit konnte am 26. Juni 2004 mit seinen Mitarbeitern bei Tempo 200 von Münster zur Kieler Woche und zurück rasen. Den Erlös spendete die Bahn an eine Stiftung für Straßenkinder.

Monatsmiete für eine Dreizimmerwohnung in Kassel ohne Nebenkosten, 125,43 €, eBay

Das Sterben der Städte hat inzwischen auch das hübsche hessische Metropölchen Kassel erreicht. Um zu verhindern, dass immer mehr Einwohner wegziehen, ging die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GWG) im Frühjahr 2004 ins Internet.

Per Gebot wurde dort die Höhe der monatlichen Mietzahlungen bestimmt. Zwei Studenten waren schließlich die Letzten, die vor Ablauf der Auktion für eine 76 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung am Wesertor 125,43 Euro boten – ohne Heiz- und Stromkosten. Regulär hätten die Glückspilze für die Wohnung etwa 400 Euro monatlich zahlen müssen.

Ein Traumhaus ohne Grundstück, 2,50 €, eBay

Im August machte Sabine Wilke das Schnäppchen ihres Lebens. Sie ersteigerte bei eBay ein „gemauertes Stein-auf-Stein-Massivhaus“ im Wert von 104.000 Euro, das, wie es hieß, „auf dem Grundstück Ihrer Wahl“ errichtet werden sollte. Sie gab ihr Gebot von 102,52 Euro ab – und erhielt den Zuschlag. Weil aber das bisherige Höchstgebot bei zwei Euro lag und der Erhöhungsschritt nur 50 Cent betrug, bekam sie das Haus für nur 2,50 Euro.

In ihrem Heimatdorf Etteln bei Paderborn fand sie auch bald ein passendes Grundstück – auf dem aber wohl kaum Bauarbeiten stattfinden werden: Der Anbieter weigerte sich, das Haus zu bauen, weil er, wie er über seinen Anwalt mitteilen ließ, kein Haus, sondern nur einen Maklervertrag angeboten habe. Sabine Wilke verklagte den Anbieter, und das Landgericht Kaiserslautern sollte klären, ob und was für ein Vertrag da nun genau zustande gekommen sei. Schließlich einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich. Sabine Wilke erhielt zwar kein Traumhaus, aber immerhin 3.000 Euro Schadenersatz.

Bettwäsche mit der Unterschrift von Egon Krenz aus dem Männerknast Plötzensee, 221 €, eBay

Vier Jahre saß der ehemalige Staatschef der DDR, Egon Krenz, wegen der Schüsse an der Mauer im Gefängnis. Am 18. Dezember 2003 wurde er vorzeitig aus der Haftanstalt Plötzensee entlassen. Zum Abschied gab er den Knastkollegen Autogramme. Und weil Martin K. gerade keinen Zettel zur Hand hatte, unterschrieb Krenz auf dessen Bettwäsche. Martin K. witterte ein großes Geschäft und bat seinen Freund Erkan alias „Atomkakalake“ aus Marienfelde, das Zeug über eBay meistbietend zu verkaufen. Anfang Januar ging das Egon-Krenz-Laken für 221 Euro an einen unbekannten Bieter. Der hat jetzt das Privileg, in „Originalhaftbettwäsche mit Signatur“ schlafen und von der DDR träumen zu können.