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Die Mutter aller Führer-Persiflagen

TANZEINLAGEN Über „The Producers“ lachte schon die halbe Welt. Jetzt wirbelt das überdrehte Broadway-Musical in Berlin herum, und zwar – wie die Zeitläufte so spielen – im Admiralspalast, in dem Hitler eine Loge hatte

Mittendrin ein Führer, der sogar am Christopher Street Day hervorstechen würde

VON JUDITH LUIG

Musicals sind, na ja, so eine Sache halt. Die einen finden es wundervoll, wenn ein Dialog auf einmal in ein Duett ausartet oder eine romantische Zweisamkeit plötzlich von wechselnden Tanzgruppen in immer irrer werdenden Kostümen bestürmt wird. Die anderen finden es grauenhaft.

„The Producers“ macht beide Gruppen glücklich. Das Musical ist eine Adaption der 1968 verfilmten Broadway-Satire von Mel Brooks und zugleich seine eigene Satire. Deswegen muss man es lieben – ohnehin, wenn man die hoffnungslose Übertreibung im Musical verehrt. Und wenn man sie hasst, dann erst recht. Passenderweise waren von beiden Gruppen genug zur Preview der Berlinpremiere gekommen – überraschend viele junge Leute und extrem viel gay community. Sie waren fest entschlossen, begeistert zu werden. Schon über den allerersten Gag auf der Bühne flippte das Publikum völlig aus. Die exaltierte Stimmung hielt sich bis zum letzten Takt.

Allerdings kann man auch nicht behaupten, dass das Berlinteam den Erfolg allein dem Ruf der Show überlassen hätte. Seit Wochen flatterten rot-weiß-schwarze Banner die Fassade des Admiralspalasts herab und erinnerten daran, dass auf dieser Bühne bald ein „Heil mir“ juchzender, strassbesetzter Hitler steppen würde. Die Fahnen erschreckten Touristen und Berliner mit ihrer Ähnlichkeit zur Hakenkreuzflagge und beschworen sofort eine PR-wirksame Wiederauflage der Debatte herauf, ob man über Hitler lachen dürfe. Die Frage wurde in diesem Falle sogar noch verschärft: „The Producers“ ist das erfolgreichste aller Musicals überhaupt, es wurde weltweit vor ausverkauften Häusern gespielt, selbst in Tel Aviv – nur Deutschland hielt sich bislang bedeckt. Nachdem die Welt nun über einen überschwulen Tingeltangel-Hitler gelacht hatte, fragten sich alle, ob die Deutschen das wohl dürfen, ob sie das überhaupt können. Der internationale Presseandrang war so groß, dass in Berlin eine Pressekonferenz nicht ausreichte – man musste noch eine zweite ausrichten.

Den Hang zum Sich-ständig-Überbietenden zeichnet „The Producers“ aus. Schon die Story handelt davon: Der in die Jahre gekommene Broadway-Produzent Max Bialystock (wundervoll: Cornelius Obonya) und der lebensferne Buchprüfer Leo Bloom (bisschen blass: Andreas Bieber) planen das Geschäft ihres Lebens. Sie wollen einen Flop an den Broadway bringen, der seinen ersten Abend nicht überlebt, und sich dann mit den Investorengeldern absetzen. Zu ihrer Freude finden sie ein Stück, das garantiert alle Völker, Religionen und Nationen beleidigt: eine Liebeserklärung an Hitler, geschrieben von Franz Liebkind, einem Altnazi, der sein Leben damit verbringt, Tauben den Hitlergruß beizubringen. Die Mutter aller Flops! Das Ganze wird mit so viel Showeffekten wie möglich überladen: Revuegirls, die riesige Bierhumpen und Bratwürste auf dem Kopf balancieren, Tanzeinlagen, bei denen Soldaten eine Hakenkreuzformation durchmarschieren, und mittendrin ein glitzernder Führer, der sogar am Christopher Street Day hervorstechen würde. Der Schwesternhitler hat, kaum überraschend, den Ruf des Musicals bestimmt. Dabei ist er nur ein kleiner Bestandteil eines sehr viel längeren Stücks, in dem nicht allein leugnende Altnazis parodiert werden. Eigentlich ist „The Producers“ eine Satire auf die Mechanismen des Broadways, in dem das schrecklichste Stück auf einmal zum Riesenerfolg wird, nur weil man die Blickwinkel ändert.

Es ist ein Musical, das besonders durch seinen schnellen Wortwitz bestimmt wird, dessen Übertragung ins Deutsche – soweit die schlechte Akustik einen das noch im zweiten Rang beurteilen ließ – größtenteils geglückt ist. Leider aber verliert sich das schöne Denglisch im Deutschen komplett, und so geht viel an Schärfe verloren. Auch hält sich die deutsche Fassung sehr eng ans Original – ein bisschen mehr Spiel hätte vielleicht gutgetan.

In Wien, wo die deutschsprachige Version im Juli 2008 Premiere hatte, konnte man das Publikum nicht richtig begeistern. So wurde die Produktion früher als geplant nach Berlin verfrachtet. Jetzt ist der Führer heimgekommen, aber noch ist der Kartenverkauf eher schleppend. Dabei hat der Ort eine besondere Brisanz: Die Diktatorenpersiflage wirbelt in dem Theater herum, in dem Adolf Hitler eine eigene Loge hatte. Gleich um die Ecke des Theaters, etwas weiter die Linden runter, befindet sich das wächserne Gruselkabinett von Madame Tussauds; noch vor einem Jahr hatte dort eine Hitlerfigur für Köpfung und Eklat gesorgt. Man sollte in Zukunft vielleicht immer so lachen wie an diesem Abend im Admiralspalast, wenn sich Wiedergänger Hitlers irgendwo breitmachen wollen.

■ Von morgen an tgl. außer Mo., www.admiralspalast.de

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