ausgehen und rumstehen
: Die letzten Tage von 2004: Glücklich ist anderswo

Mein lieber Scholli, was für ein Jahr sollte da zu Ende gehen – 2004 als mein persönliches Annus horribilis zu bezeichnen, ist schändliche Untertreibung. Nur so viel: Dass der Flut der plötzlich hereinbrechenden privaten Katastrophen schließlich eine Flutkatastrophe nachfolgte, hat mich nicht verwundert. Ich hätte es also besser wissen müssen und vor dem endgültigen Umklappen der Jahreszahl das Haus nicht mehr verlassen dürfen.

Stattdessen ließ ich mich – auch das eine häufige Erfahrung des vergangenen Jahres – hinreißen und besuchte einen Tag vor Silvester die Volksbühne. Es gab „den neuen Schlingensief“, das Stück war eine einzige Warnung, 90 Minuten lang. „Gehen Sie heim und legen Sie sich ins Bett!“, schrie es die ganze Zeit über, während sich die Bühne in einem Gewirr aus Lärm, Licht und Zeichen immer schneller zu drehen begann, aber ich hörte nichts. Mir war schwindlig, außerdem verging ich fast vor Sorge um ein zum so genannten „Bühnen- oder Zirkusesel“ degradiertes Geschöpf, das mutterseelenallein in der Kulisse das Ende des Infernos abwarten musste. Mitleid war dann auch die einzige Gefühlsregung, die ich im weiteren Verlauf empfand. Ach ja, ich hörte doch was: „It's not over yet!!!“, rief eine Protagonistin mehrere Male hintereinander aus. Wie Recht sie hatte.

Genau, in der Nähe gibt es ja noch die 8-mm-Bar, die konnte man an dem Abend unmöglich einfach so leer stehen lassen. Bevor sich am frühen Morgen endlich die Daunendecke über meinen besinnungslosen Körper senkte, konnte ich unter anderem beobachten, dass es dort sehr heiß und voll war und meine beste Freundin sich irgendwann aufs Innigste mit dem Spross einer Tessiner Obstplantagendynastie verband.

Da ich seit dem Ende des 31. Dezember 2004 als rekonvaleszent gelte, muss ich die Wiedergabe meiner Erlebnisse in dieser Nacht im Dienste der Zurückerlangung meiner physischen und psychischen Gesundheit leider unterlassen. Auch eine schöne Lovestory kann ich an dieser Stelle aus Gründen der Diskretion nicht erzählen. Hier trotzdem eine Silvestergeschichte, erlebt von einer Freundin und dieser abgelauscht:

Die Freundin wollte an diesem Tag mal woanders hin, das Brandenburger Tor läuft einem ja nicht weg. Es bestand das Angebot, in eine Metropole der Gemütlichkeit einzukehren, also los zum Cocooning nach Braunschweig. „Du darfst die Axolottl aber nicht vergessen!“, hatte die Freundin der Freundin aufgetragen. Also fütterte die Freundin, die als besonders zuverlässig gilt, noch schnell die beiden Urmolche des Sohnes. Der schätzt diese Tiere sehr, es sind kluge Hausgenossen, die sowohl zu Wasser als auch an Land leben können. Schwimmen sie allerdings einmal an Land, fallen ihnen die Schwimmflügel ab und sie können nie mehr zurück.

Braunschweig wollten die Freundinnen anscheinend aber doch erst bei vollständiger Dunkelheit betreten, denn vorher fuhren sie noch auf einen Abstecher in die Wohlfühl-Oase Bad Harzburg. Leider hatte das Spaßbad geschlossen und der alternativ angesteuerte sprechende Märchenwald leierte so furchtbar, dass die Kinder es mit der Angst bekamen. Als Entschuldigung kochten die Erwachsenen den Kindern am Abend Pizza, anschließend tanzten alle zu dem tollen Playstation-Spiel mit der Kamera, das einem sehr eigenartige Bewegungen beibringt, Kinder aber sehr zuverlässig vor frühzeitiger Verfettung schützt. Geböllert wurde nur wenig, auch wegen der Flutopfer. Und an Neujahr cremten sich alle gegenseitig den Rücken ein.

Übrigens: 2005 soll DAS Glücksjahr der Waage werden, behaupten die Magazine. Dafür schon im Voraus vielen Dank.

LORRAINE HAIST