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Ein Beben für Millionen

Die Deutschen spenden eifrig für die Flutopfer in Asien. Die Hilfsorganisationen sind erfreut – und besorgt. Denn andere Krisenregionen geraten über die Flut in Vergessenheit

VON MATTHIAS URBACH

Damit hatten auch die Hilfsorganisationen nicht gerechnet: Das Ausmaß an Spenden übertraf bei weitem die Erwartungen. Am Wochenende meldeten die großen Hilfsverbände beeindruckende Zahlen: 10,3 Millionen Euro hatte allein das Deutsche Rote Kreuz in der ersten Woche nach dem Seebeben im Südostasien gesammelt, 8 Millionen Euro die „Aktion Deutschland Hilft“, 4,5 Millionen die Diakonie Katastrophenhilfe, 3,3 Millionen die Welthungerhilfe.

Die Hilfswelle hat die ganze Gesellschaft erfasst: Fußballclubs plündern die Mannschaftskasse, Schausteller lassen die Kinder für eine Spende Karussell fahren und im Fernsehen überschlagen sich die Spendengalas: Sylvester sammelte im Ersten Karl Moik 5,2 Millionen, gestern Sat.1 und heute Abend Johannes B. Kerner im ZDF.

Die Spendenbereitschaft hat die Experten überrascht, weil eigentlich zu Weihnachten die ganz großen Spenden schon getätigt sind. Gerade zum besinnlichen Weihnachtsfest nehmen Wohlfahrtsorganisationen bis zu einem Drittel ihrer jährlichen Spenden ein. Auch dauert es normalerweise eine Weile, bis eine Spendenwelle ins Rollen kommt. Diesmal kamen gleich in den ersten Tagen beträchtliche Summen zusammen: Allein am Donnerstag gingen 1,6 Millionen Euro bei der Welthungerhilfe ein. „So viel hatten wir noch nie“, berichtet Ursula Kapp-Barutzki von der Hilfsorganisation. Sie erklärt sich das mit dem ungewöhnlichen Termin. Am zweiten Weihnachtstag seien die Leute aufnahmebereit gewesen, hätten Zeit gehabt, die Bilder zu verarbeiten, und das Bedürfnis, schnell zu helfen.

Und nachdem die Spendenwelle erst mal ins Rollen gekommen ist, scheint es kein Halten mehr zu geben. Das Fernsehen wird derzeit beherrscht von Spendenaufrufen, dazu kommt das ungewisse Schicksal vieler vermisster deutscher Touristen. Die Katastrophe trägt alle Züge von dem, was Insider eine „Medien-Katastrophe“ nennen. Dies sei ein großes Problem, urteilt der Leiter der Spendenabteilung von „Ärzte ohne Grenzen“, Arne Kasten – andere Probleme und Regionen gerieten darüber in Vergessenheit. „Die Hilfe im Ostsudan muss auch finanziert werden.“

Die „Ärzte ohne Grenzen“ erhielten in den ersten drei Tagen nach dem Beben gar sechs Millionen Euro – das entspricht fast einem Drittel des Jahresaufkommens von 2003. Dies verleitete die Organisation zum freimütigen Bekenntnis auf ihrer Homepage an die „lieben Spender“, dass es ihr lieber wäre, weitere Spenden ohne Zweckbindung zu erhalten, da man nicht wisse, „wie lange der Nothilfe-Einsatz in Südasien dauern und was er kosten“ werde. „Natürlich berücksichtigen wir Zweckbindungen“, sagt Arne Kasten der taz. Aber man könne effektiver ohne arbeiten. Wenn überall sauberes Wasser vorhanden und die Verletzten versorgt sind, haben die Ärzte dort nichts mehr zu tun – während anderswo Not herrsche.

Die meisten anderen Hilfsorganisationen haben dieses Problem nicht, denn sie beteiligen sich am Wiederaufbau – und das ist ein Projekt für die nächsten drei bis fünf Jahre. „Jeder Euro wird auch weiterhin benötigt“, lautet die Durchhalteparole, ausgegeben vom Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes. Normalerweise erlahmt die Hilfe schnell, wenn ein Krisengebiet nicht mehr in den Medien ist. So ist etwa die Krise in Darfur, bis vor kurzem noch das wichtigste humanitäre Thema, schon wieder weitgehend aus der Diskussion verschwunden.

Doch die Frage bleibt: Drücken diese Spenden nun eine besondere Hilfsbereitschaft aus, oder sparen die Spender dafür anderswo? Tatsächlich ist die Gesamtsumme an Spenden seit Jahren recht stabil. Nach Angaben der Marktforscher von tns-emnid spenden die Bundesbürger seit 2001 jährlich rund 2,6 Milliarden Euro für gemeinnützige Einrichtungen. Etwa 40 Prozent der Bürger spenden eine Summe von durchschnittlich 101 Euro. Nur für die Elbflut 2002 kamen noch einmal Spenden obendrauf.

Ursula Kapp-Barutzki, die auch stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Fundraising Verbandes ist, glaubt nicht, dass es 2005 mehr Spenden als im Vorjahr geben wird. „Die Nothilfe jetzt sind vorgezogene Spenden.“ Das Geld würde später wieder bei anderen wohltätigen Zwecken eingespart. „Wir müssen sehen, dass das verfügbare Einkommen in den vergangenen Jahren eher abgenommen hat.“

Nicht nur deshalb ist es wichtig für die Hilfsorganisationen, jetzt dabei zu sein. So ist es auch für solche Spender wichtig, die schon Jahre für eine Hilfsorganisation spenden, dass ihre Vereinigung auch auf den Listen der Fernsehsender und Zeitungen auftaucht. Schließlich wirkt die Nennung wie ein Gütesiegel. Um einen besseren Auftritt zu haben, schlossen sich vor ein paar Jahren zehn mittelgroße Verbände, darunter Johanniter, Care und World Vision, zur „Aktion Deutschland Hilft“ zusammen, die jetzt, schon wegen ihres Namens meist am Anfang der Spendenlisten steht – und bei dieser Flut besonders auffällt. So ist es leichter, gegen die Großen im Geschäft wie das Deutsche Rote Kreuz zu bestehen. Das hat sich selbst wiederum mit den großen Verbänden Caritas, Diakonie und Unicef zum „Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“ zusammengeschlossen.

Dies hat einen Vorteil vor allem für große Spendengalas, weil dann der Veranstalter mit nur einem Partner und einem Spendenkonto auftreten kann. In Großbritannien wurde schon Ende der Achtziger auf Druck der Medien das allerdings umfassendere Disaster Emergency Committee als Verband der Hilfsorganisationen gegründet, um auf ein Spendenkonto sammeln zu können.

Obwohl etwa die „Aktion Deutschland Hilft“ nicht bloß ein Spendenkonto betreibt, sondern auch bewusst seine Hilfsmaßnahmen untereinander abstimmt, macht schon der Name deutlich, wie ernst der Zusammenschluss sein Marketing nimmt: Im Untertitel nennt es sich denn irreführend auch „Das Bündnis der Hilfsorganisationen“.

Andererseits ist das Geschäft auch ziemlich hart für die mittleren und kleinen Verbände, „die keine Sabine Christiansen als Botschafterin haben“, wie ein Insider gegenüber der taz erklärt. „Die stets sagt, ich trete nur auf, wenn Unicef erwähnt wird.“ Solche Aussagen hört man freilich nur anonym, weil die kleinen Hilfsorganisationen fürchten, in der Boulevardpresse als kleine Neider dargestellt zu werden. Auch ist die Branche sehr darum bemüht, einen seriösen Ruf zu behalten.

Das ist ohnehin nicht leicht angesichts der vielen Wohlfahrtsverbände. Die Schätzungen reichen von 12.000 bis zu 20.000 Organisationen, die in Deutschland Spenden sammeln. Nicht wenige für dubiose Zwecke. Eine Orientierung gibt das DZI-Spendensiegel, das seit 1992 vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin vergeben wird. Etwa jeden dritten Erstantrag auf die Vergabe eines Siegels musste das Institut nach eigenen Angaben ablehnen.

Ob die Spenden für das Seebeben im Sudan nun obendrauf kommen oder vom Spendenetat der Deutschen abgehen – angesichts des Spendenvolumens privater Spender von 2,6 Milliarden wird das keine dramatischen Folgen haben. So gibt sich zum Beispiel der Umweltverband BUND entspannt. „Wenn es jetzt einen Ausschlag an Spenden für eine Naturkatastrophe gibt, dann gleicht sich das in der Regel über die Jahre wieder aus.“ Und tatsächlich: Trotz der rückläufigen öffentlichen Debatte über Umweltschutz sind die Spenden für die großen Umweltverbände eher konstant oder steigend. Richtig ist aber auch, dass die Verbände immer mehr tun müssen, um ihre Spenden zu ergattern. Immer häufiger auch mit großen, teuren Anzeigenkampagnen wie zurzeit der WWF oder vor kurzem WorldVision.

Der neueste Trend beim Spendensammeln ist das „Erbschaftsmarketing“, wie es der Deutsche Fundraising Verband nennt. In seiner Fundraising Akademie in Frankfurt bereitet er seine Absolventen darauf vor, möglichst früh Kontakt zu Erblassern aufzunehmen. Ein lukratives Ansinnen, denn „innerhalb der nächsten zehn Jahre werden große Vermögen vererbt werden“.

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