Kapitalisten, aus der Not heraus geboren

Immer öfter übernehmen argentinische Arbeiter ihre bankrotten Fabriken und werden selbst Unternehmer

NEUQUEN taz ■ Wachmänner an der Pforte, gepflegtes Verwaltungsgebäude, auf dem Hof rangieren Lastwagen – nicht deutet darauf hin, dass die Fabrik in der patagonischen Stadt Neuquen „unnormal“ ist. Ist sie aber: Die Fliesenfabrik Zanón hatte Anfang März 2002 Konkurs angemeldet. Einen Tag besetzte die Belegschaft das Gelände. Seither laufen Bänder und Öfen wieder – ohne Chef und Prokurist, dafür aber unter Arbeiterkontrolle. Und mit wirtschaftlichem Erfolg.

Kein Einzelfall in Argentinien. Über 100 Unternehmen mit rund 10.000 Jobs befinden sich derzeit in Arbeiterhand, schätzt der Arbeitsrechtler Luis Alberto Caro. Nach dem Firmen-Bankrott besetzten die Arbeiter ihren Betrieb, führen ihn weiter. Gründerhilfe leistet dabei die argentinische Verfassung. Nicht selten laufen gewiefte Unternehmer zum Konkursrichter, wenn sie sich ihrer Schulden entledigen und Sozialplan und Abfindungen sparen wollen – selbst wenn sie in Wirklichkeit gar nicht pleite sind. Genau hier lauert der Enteignungsparagraf: Im Falle des Konkurses kann ein Besitzer enteignet werden, da die Firma ohnehin schließen würde. Voraussetzung: Die Arbeiter müssen beschließen, die Firma weiterzuführen. Nach zwei Jahren Gnadenfrist müssen sie die Altschulden bedienen.

14 Jahre lang hatte Julio Araneda bei Zanón gearbeitet, ehe das Telegramm mit der Kündigung kam. Als seine Ersparnisse langsam zu Ende gingen, setzte er sich mit ehemaligen Kollegen zusammen. Sie sagten sich: „Wir haben keine Arbeit, aber die Fabrik ist da und die Maschinen auch, warum arbeiten wir nicht einfach?“. Nachts kletterten sie mit Werkzeugen, Proviant und Schlafsäcken über den Zaun, warfen die Maschinen wieder an. Doch damit hatten sie noch keine einzige Fliese verkauft. Baumärkte waren zwar bereit, die Zanón-Fliesen wieder in ihr Sortiment aufzunehmen. Aber sie brauchten eine Rechnung mit Steuernummer. Die jedoch kann ein Betrieb, der legal gar nicht existiert, nicht ausstellen.

Hilfe fanden die Zanón-Arbeiter bei der Menschenrechtsgruppe „Mütter der Plaza de Mayo“. Die Mütter von Diktaturopfern gründeten eine Firma, mit deren Briefkopf die Geschäfte von Zanón abgewickelt werden. Fast drei Jahre verkauft Zanón jährlich 300.000 Quadratmeter Fliesen Der Umsatz liegt bei 850.000 Euro, Tendenz steigend.

Zanón würde in eine wirtschaftlich stabile Zukunft sehen, wären da nicht drängelnde Gläubiger. 24 Millionen Dollar Schulden hat Zanón in 20 Jahren angehäuft. Für Araneda ist klar: „So wie die Schulden Argentiniens sind auch unsere unbezahlbar.“ Deshalb nahm er kürzlich den Bus ins 1.200 Kilometer entfernte Buenos Aires, um mit den Gläubigern zu verhandeln. Die Antwort war stets die Gleiche: „Wir wollen unser Geld.“ Aranedas Hoffnungen ruhen auf Präsident Néstor Kirchner. Die Arbeiter von Zanón haben beschlossen: Die Fabrik soll verstaatlicht werden und unter Arbeiterkontrolle bleiben. „Es wäre denkbar, dass der Staat einen Teil der Schulden der Fabrik übernimmt“. Keine aussichtslose Forderung. INGO MALCHER