Artige Schreie

Virtuelle Fluchten: Die Filmreihe „Jugend in der DDR“ im Metropolis schaut von innen her ins damalige sozialistische System samt seinen Zynismen, Hoffnungs- und Hilflosigkeiten

von Christine Schams

Es war ein ungeliebter Film, ein Affront gegen die Wohnungspolitik der Partei, ein Angriff auf die sozialistische Wirklichkeit: Vor der Uraufführung des Films Insel der Schwäne 1983 mussten deshalb das Ende umgeschrieben, etliche Szenen neu geschnitten sowie Dialoge und Musik geändert werden. Doch auch diese Zugeständnisse stimmten die SED-Führung nicht milde. Im Gegenteil: In einer initiierten Pressekampagne denunzierte sie Regisseur Herrmann Zschoche und Autor Ulrich Plenzdorf weiterhin als Psychopathen. In die Kinos schaffte es Insel der Schwäne zynischerweise dank des politischen Systems: Mit dem Film wurde das Plansoll des Jahres erfüllt. Zur Freude des Publikums, das die Geschichte über den anarchischen Ausbruch von Kindern aus der grauen Betonwelt einer tristen Plattenbausiedlung begeistert aufnahm.

Insel der Schwäne nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Benno Pludra ist einer von insgesamt sieben Filmen der DEFA, die das Metropolis derzeit in der Reihe Jugend in der DDR zeigt. Er erzählt die Geschichte des 14-jährigen Stefan, für den die Kindheit abrupt endet: Er muss sein idyllisches Heimatdorf, seinen Freund Tasso und die Insel der Schwäne verlassen, denn er soll zum Vater nach Berlin ziehen, der dort arbeitet. Dort, im Neubaugebiet Marzahn, erwartet ihn neben grauen Plattenbauten, Baugruben und unfertigen Spielplätzen auch der erste richtige Ärger: Windjacke, ein älterer Jugendlicher, und seine Bande terrorisieren ihre Mitschüler, Stefan widersetzt sich ihnen. Im Rohbau eines Hauses kommt es zum Showdown zwischen ihm und Windjacke.

„Wir wollen immer artig sein, nur so hat man uns gern“, schmetterte die Ostberliner Spaßguerilla-Band Feeling B einst sarkastisch in einem ihrer Songs und sprach für eine ganze Generation, die in den 80er Jahren zunehmend nach eigenen Wegen in der DDR suchte. Nach einer Welt ohne blaue Blusen, FDJ-Lieder und sozialistische Viten. 1988 begleiteten Dieter Schumann und Jochen Wisotzki Rockbands der DDR wie Silly, Pankow oder Feeling B. auf ihren Tourneen und dokumentierten die Konzerte und Eindrücke der Fans in dem Roadmovie Flüstern & Schreien. Der international anerkannte Film zeigt Interviews und Live-Konzerte der Bands, etwa mit Tamara Danz und Rüdiger ‚Ritchie‘ Barton von Silly sowie mit Paul Landers und Christian ‚Flake‘ Lorenz von Feeling B, beide heute Mitglieder der Brachial-Metal-Combo Rammstein.

Flüstern & Schreien ist ein Protestfilm, der die Sehnsüchte und Wünsche der in der DDR aufgewachsenen Jugendlichen spiegelt, endlich ungestraft zu widersprechen, sich ohne Einschränkung bewegen und kleiden zu dürfen. Der Film dokumentiert die Langeweile dieser jungen Leute in der Provinz, in der nichts passiert, in der es nichts gibt – Szenen, in denen die Parallele zur heutigen Realität offenbar wird.

Das Leben der Menschen in der geteilten Stadt Berlin Ende der 50er Jahre macht der Film Berlin – Ecke Schönhauser zum Thema. Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhaase erzählen die Geschichte von 16- bis 17-jährigen Teenagern, die aus der familiären Enge oder vor dem prügelnden Vater auf die Straße flüchten. Unter dem U-Bahn-Bogen auf der Schönhauser Allee geben sie sich erwachsen, veranstalten Mutproben und fühlen sich frei und unabhängig. Diesen Irrtum müssen sie allerdings teuer bezahlen.

Die ostdeutschen Pendants zu Peter Kraus und Conny Froboes waren in Heißer Sommer von Joachim Hasler zu betrachten. Die populären Schlagerstars Frank Schöbel und Chris Doerk, die damals auch privat ein Paar waren, spielten die entsprechenden Rollen. Die Geschichte des Films ist ähnlich einfach gestrickt wie die westdeutscher Kraus-Froboess-Schnulzen: Elf Mädchen aus Leipzig und zehn Jungen aus dem damaligen Karl-Marx-Stadt trampen um die Wette an die Ostsee. Und zunächst spielen sich Mädchen und Jungs einige Streiche, um sich dann mit den üblichen Verwirrungen und Problemen näher kommen. Die unbeschwerte Sommerfreude fernab des tristen DDR-Alltags, eingebettet in eingängige Melodien und eine heute seltsam anmutende Choreographie, machten Heißer Sommer zu einem der größten Kinoerfolge der DDR.

Einen beschränkten Ausbruch aus dem sozialistischen System zeigt Herrmann Zschoche in seinem Film Und nächstes Jahr am Balaton. Zschoche erzählt darin die Geschichte von Jonas, der nach Bulgarien trampt und sich dort in die Holländerin Shireen verliebt. Gemeinsam wollen sie nach Indien, doch das Schwarze Meer ist für Jonas mit seinem DDR-Pass Endstation.

Sieben Sommersprossen: 9.1., 21.15 Uhr, Insel der Schwäne: 8.1., 17 Uhr, 11.1., 19 Uhr, 12.1., 17 Uhr. Flüstern & Schreien: 10.1., 21.15 Uhr, 11.1., 17 Uhr, 13. 1., 21.15 Uhr. Berlin – Ecke Schönhauser: 13. 1., 19.15 Uhr, 14. 1., 17 Uhr, 15. 1., 17 Uhr, 18.1., 19.15 Uhr, Heißer Sommer: 18. 1., 21.15 Uhr, 19. 1., 19 Uhr, 22. 1., 17 Uhr. Andere Jugend in der DDR: 19. 1., 21.15 Uhr, 20. 1., 17 Uhr. Und nächstes Jahr am Balaton: 25. 1., 19 Uhr, 27. 1., 17 Uhr. Alle Metropolis