US-Kongress: Macht statt Moral

US-Republikaner nutzen ihre ausgebaute Parlamentsmehrheit gleich zu Beginn der neuen Sitzungsperiode des Kongresses und erschweren Untersuchungen unethischer Abgeordneter

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Als sich der neu gewählte US-Kongress am Dienstag zu seiner konstituierenden Sitzung traf, wurde rasch klar, dass alles Gerede von überparteilichem Schulterschluss, vom Überbrücken der tiefen Gräben zwischen den beiden Parteien nach der unappetitlichen Wahlschlacht blanke Rhetorik ist. Die Republikaner nutzten am ersten Arbeitstag ihre neue Mehrheit, um im Repräsentantenhaus die Ethikrichtlinien für Abgeordnete zu ändern. Untersuchungen gegen Parlamentarier, die gegen den Verhaltenskodex im hohen Hause verstoßen haben sollen, werden damit in Zukunft erschwert.

Kaum waren die höflichen Worte der Begrüßungszeremonien verklungen, machten die Demokraten ihrem Unmut über den „Machtmissbrauch“ Luft. Ihre Fraktionschefin im Unterhaus, Nancy Pelosi, nannte die Änderungen „schädlich“. Sie seien ein Beleg, wie arrogant und engstirnig die Republikaner geworden seien.

Die Opposition moniert, dass Untersuchungen gegen Parlamentarier jetzt nur noch möglich sind, wenn der Ethik-Ausschuss mehrheitlich zustimmt. Dieser ist paritätisch mit Demokraten und Republikanern besetzt. Jede Seite kann daher eine Überprüfung blockieren, wenn ihre Ausschussmitglieder geschlossen dagegen stimmen. Bislang war festgelegt, dass eine Untersuchung automatisch eingeleitet wird, sollte nicht der gesamte Ausschuss einhellig anders entscheiden.

Hintergrund der Regeländerung ist eine Finanzaffäre des mächtigen republikanischen Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus, Tom DeLay. Ihm wurden vergangenen Herbst illegale Praktiken bei der Wahlkampf-Finanzierung vorgeworfen. Mehrere seiner Mitarbeiter wurden angeklagt, er selbst jedoch nicht. Daraufhin verwarnte ihn der Ethik-Ausschuss im Kongress – in den Augen vieler Republikaner ein ungerechtfertiger Schritt, solange DeLay nicht für schuldig befunden wird.

DeLays republikanische Parteifreunde stimmten daher im November für eine Regel, die ihn vor einem Rücktritt bewahrt, sollte ihm der Prozess gemacht werden. Diese Form der „Immunität“ ging jedoch anderen Republikanern zu weit. Um den innerparteilichen Streit zu beenden, votierten sie nun für besagte Kompromissformel. Sie erlaubt den Republikanern, sich als gesetzestreu und nicht über dem Recht stehend zu präsentieren, sichert DeLay jedoch seine Machtposition. „Die Änderung ist so unnötig wie unklug“, kommentierte die Washington Post.

Das Verhalten der Republikaner gibt einen Vorgeschmack darauf, wie die durch den Wahlsieg von Präsident Bush vor Kraft strotzende Mehrheit in der kommenden Legislaturperiode ihre Muskeln spielen lassen wird, um die Agenda des Weißen Hauses umzusetzen, zum Beispiel die Teilprivatisierung der Sozialversicherung. Der republikanische Parlamentspräsident Dennis Hastert, kein Freund des überparteilichen Ausgleichs, sagt voraus, dass „in diesem Kongress große Pläne das Blut zum Kochen bringen werden“.

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