Roter Plüsch im Hinterhof

Andreas Lübbers, Gründer und Leiter des Sprechwerks, findet Borgfelde sehr zentral. Er will hier eine Anlaufstelle für Hamburger freie Gruppen schaffen

Theatertafel für netzwerkelnde Künstler

von Christine Schams

Ihm fehlen der legendäre Ruf des Kiez, das linke Treiben der Schanze und auch die schicken Bars von Eppendorf: Wenn der Hamburger Stadtteil Borgfelde einen Ruf hat, dann den als verlängerte Autobahnauffahrt mit potentiellem Stauherd rund ums Berliner Tor. An Borgfelde als Kulturmeile denkt wohl niemand bei der Planung seiner abendlichen Aktivitäten.

Andreas Lübbers möchte das ändern. Er ist Dramaturg und möchte den Hamburgern Borgfelde näher bringen: „Es sind fünf Minuten bis zum Berliner Tor, eine Station bis zum Hauptbahnhof, das ist doch zentral!“ Seinen Traum, eine Anlaufstelle für die freie Kunstszene zu schaffen, hat Lübbers mit dem Sprechwerk deshalb bewusst in Borgfelde, im Bühnenwerk von Sebastian Hellwig verwirklicht.

Der Anblick von dessen Bühne, die mit neuester Technik ausgestattet ist, bislang aber als Lehrwerkstatt für Veranstaltungstechnik genutzt wird, tat ihm „in der Seele weh“. „Der Raum erinnert an die New Yorker Bronx, an einen Hinterhof. Was die technische Ausstattung betrifft, hat die Bühne aber das Niveau eines Stadttheaters.“

Wer sich zum ersten Mal auf den kurzen Fußweg vom Berliner Tor zum Sprechwerk macht, bleibt jedoch zuerst ein ums andere Mal in der Klaus-Groth-Straße stehen und blickt irritiert auf die Hausnummern. Nummer 23 liegt weit versetzt hinter einer Autowerkstatt und einem Wohnhaus, in der Einfahrt stehen jede Menge stillgelegte Autos und auch eine Yacht.

Hat man das Flair der Hinterhofwerkstatt hinter sich gelassen, zeigt sich endlich das Sprechwerk: ein großer, offener Raum mit Parkett und schwerer Lichttechnik an der Decke. Die Bühne wird von einem wuchtigen roten Samtvorhang verhüllt. Hinter der Theke rechts vom Eingang steht Sprechwerkchef Lübbers und empfängt seine Gäste: „Ja, hier seid ihr richtig, vor euch steht das Sprechwerk“, begrüßt er zwei Besucher.

Seit September 2004 findet im Sprechwerk ein regelmäßiger Spielbetrieb statt. Rund 20 Premieren gab es bislang, jedes Stück mit durchschnittlich drei Vorstellungen. Ein festes Ensemble hat das Sprechwerk nicht, ist aber inzwischen rege genutzte Spielstätte, für Hamburger freie Künstler. Es sei aber mehr als nur ein Theater, betont Andreas Lübbers. Die Philosophie: Hier treffen sich Künstler, Schauspieler, Regisseure, Autoren, Kostümbildner und Musiker. Sie präsentieren ihre Arbeiten, tauschen sich aus, entwickeln neue Projekte. Der Bedarf sei da, sagt Lübbers: „In einer Zeit, in der die öffentliche Subventionierung zurückgeht, brauchen freie Künstler ein Netzwerk, um arbeiten zu können.“ Zu diesem Zweck findet jeden zweiten Montag die „Theatertafel“ statt: Dann wird auf der Bühne ein großer Tisch aufgestellt, die Künstler essen zusammen und tauschen Erfahrungen aus.

Doch aller Anfang ist schwer: Recht durchwachsen ist bislang die Publikumsresonanz auf das „Sprechwerk“-Programm: Mal verirren sich nur fünf zahlende Zuschauer ins Sprechwerk, mal sind es 50. Gespielt wird immer mittwochs bis samstags, die anderen Tage, das wurde schnell klar, sind unrentabel. Financier des ganzen ist Andreas Lübbers selbst. Und, natürlich, das Geld ist knapp. Gewinne werden nicht eingefahren. Doch konkrete Zahlen will Lübbers nicht nennen: „Das investierte Geld sagt nie etwas über die künstlerische Qualität der Produktionen und der Spielstätte aus.“

Um das Sprechwerk bekannter zu machen, wählt Lübbers auch ungewöhnliche Marketingmethoden: Von Montag bis Donnerstag findet derzeit ein so genanntes Mittagspausentheater in der City Süd statt. Für den Eintritt bekommen die Zuschauer einen Gutschein für einen Snack, ein Getränk und eine Zehn-Minuten-Vorstellung in einem leer stehenden Ladenlokal im Europagebäude am Ballindamm. Auch der zu gründende Förderverein sowie die Aufführung von Gabriel Baryllis Butterbrot, das seit Dezember läuft, sollten den Fokus auf den neuen Spielort lenken – eine Rechnung, die aufzugehen scheint: Butterbrot hat sich bereits zum Publikumsrenner entwickelt „und hat uns ganz neue Zuschauerschichten erschlossen, die sich stark für die freie Theaterszene interessieren“, sagt Lübbers. „Denn das ist mein Ziel: eine Bühne zu schaffen, derer sich die freie Theaterszene annehmen kann – was sich auch darin äußert, dass wir von freien Gruppen, die Projektförderung beantragen wollen, immer öfter um Spielstätten-Nachweise gebeten werden. Außerdem träume ich davon, hier ein Festival der freien Theaterszene wie in Berlin oder Hildesheim zu organisieren.“ Schon in diesem Jahr soll dieser Traum wahr werden: Bei dem Festival werden freie Künstler an vier aufeinander folgenden Tagen ihre Projekte dem Publikum präsentieren.

„Butterbrot“ läuft noch bis zum 16.1. täglich außer Montag um 20 Uhr im Sprechwerk, Klaus-Groth-Str. 23. Info unter Tel. 24 42 39 30 oder www.hamburgersprechwerk.de