„Der Plan des Senats löst die Probleme nicht“

190.000 BerlinerInnen müssen unzumutbar viel Feinstaub einatmen, sagt BUND-Experte Martin Schlegel. Hauptsächlich die Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings sind betroffen. Der BUND unterstützt jetzt Anwohnerklagen

taz: Reicht der geplante Luftreinhalteplan, um die Feinstaubbelastung in Berlin ausreichend zu reduzieren?

Martin Schlegel: Mit dem, was bisher an Maßnahmen angekündigt wurde, sind die Probleme auf keinen Fall zu lösen. Man muss in der Innenstadt flächendeckend Maßnahmen gegen die hohe Belastung durch Dieselruß, den giftigsten Anteil des Feinstaubs, ergreifen. Deswegen fordern wir, dass Dieselfahrzeuge ohne Rußfilter nicht mehr in das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Ringes fahren dürfen. Dafür braucht man sicher eine gewisse Umstellungszeit, aber wir halten es für die mit Abstand wirksamste Maßnahme.

Bürger, die an befahrenen Straßen leben, können klagen.

Ja, Anwohner der belasteten Hauptstraßen können auf ihr Recht auf saubere Luft klagen. Durch die neue EU-Richtlinie gibt es verschärfte Grenzwerte, die gerichtlich durchsetzbar sind. Dabei geht es nicht um Tageswerte, sondern es müssen übers Jahr verteilt 35 Tage mit zu hohen Messwerten vergehen.

Wann wird die Grenze von 35 Tagen mit zu hohen Messwerten 2005 in Berlin erfahrungsgemäß überschritten sein?

2004 war sie es im November. Wenn wir einen heißen Sommer bekommen wie in 2002 oder 2003, dann wird es sicher schon im August so weit sein. Wenn es ein verregnetes Jahr wird, so wie es im Moment ausschaut, eben erst im Herbst. Es hängt aber nicht nur vom Sommer ab. Beispielsweise kann eine Inversionswetterlage die Werte hochtreiben, bei der in etwa 300 bis 400 Meter Höhe relativ warme Luftschichten über bodennahen kalten Luftschichten liegen – und aufsteigende Abgase wie unter einer Käseglocke halten.

Wie stark ist Berlin mit Feinstaub belastet?

Hier sind im Bundesvergleich mit Abstand die meisten Leute von Überschreitungen der Feinstaubgrenzwerte betroffen. Im Jahr 2002 waren es 190.000 Berliner. Sie wohnen vor allem im Bereich innerhalb des S-Bahn-Ringes, wo wirklich alle Hauptverkehrsstraßen, die bebaut sind, betroffen sind.

Gibt es hier schon Betroffene, die klagen wollen?

Beim Verein Deutsche Umwelthilfe haben sich mehrere Fälle aus der Frankfurter Allee gemeldet. Wir kennen aber auch schon den Fall eines Anwohners aus der Leipziger Straße.

Was können die Leute tun?

Als Anwohner von Hauptverkehrsstraßen können sie sich bei der Bürgerbeteiligung des Luftreinhalteplans melden. Und darauf hinweisen, dass sie in einer Straße wohnen, wo zu viel Autoverkehr herrscht, die Luft zu schlecht ist und sie deshalb entsprechende Maßnahmen erwarten. Als BUND unterstützen wir eine Musterklage, dies wird eine der ersten sein, wahrscheinlich im Oktober.

Wie erfolgversprechend sind solche Rechtsmittel?

Da sind wir sehr gespannt. Nach alter Rechtslage haben wir in Berlin einen Erfolg gehabt in der Brückenstraße. Dort ging es um Lärmbelästigung, es wurde ein Nachtfahrverbot für Lkw und ein Tempolimit von Tempo 30 in der Nacht erreicht. Der Prozess hat 13 Jahre gedauert, diesmal gehen wir davon aus, dass es nicht so lange dauern wird. Eine Klage wegen Feinstaub hat auch eine wesentlich größere Bedeutung: Eine Entscheidung in diesem Bereich wird ein Modellfall werden. Wir hoffen, dass wir mit den Klagen den Senat dazu zwingen können, flächendeckende Maßnahmen durchzuführen. INTERVIEW: JULIANE GRINGER