Das männliche Grinsegesicht aus Abu Ghraib

Dem US-Soldaten Charles Graner wird seit gestern wegen seiner Rolle im Abu-Ghraib-Folterskandal der Prozess gemacht

Er ist auf vielen Fotos zu sehen. Mit erhobenem Daumen hinter einem nackten Menschenhaufen. Mit geballter Faust vor einem vermummten Häftling mit einer Kapuze, so als ob er gleich zuschlagen werde. Er soll außerdem auf Gefangenen herumgesprungen sein, auf ihren Händen und Füßen getrampelt und einen Häftling bewusstlos geschlagen haben. Er schaute dabei belustigt und grinste.

Charles Graner gilt als mutmaßlicher Rädelsführer jener Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib, die Häftlinge misshandelt und gefoltert haben. Er ist neben der Soldatin Lynndie England – der Frau mit der Hundeleine um den Hals eines nackten Häftlings und seiner ehemaligen Geliebten, die im Oktober von ihm ein Kind gebar – wohl die prominenteste Figur des Folterskandals.

Gestern, acht Monate nachdem die Bilder von Abu Ghraib die Welt schockierten, begann gegen ihn der Prozess vor einem Militärgericht im texanischen Fort Hood. Er ist der erste US-Soldat, der im Zusammenhang mit Abu Ghraib zu Hause angeklagt wird. Vergangenen Sommer waren bereits drei Soldaten von einem Militärgericht in Bagdad verurteilt worden. Bei einer Verurteilung drohen Graner 24 Jahre Haft.

Anders als ebenfalls angeklagte Soldaten seiner 372. Militärpolizei-Einheit, die auf schuldig plädiert haben, sieht sich Graner als Sündenbock. Der 36-Jährige, der als Gefängniswärter in einer Kleinstadt in Pennsylvania arbeitete, bevor er in den Irak abkommandiert wurde, gab bislang zu Protokoll, lediglich Befehlen gefolgt zu sein, um Gefangene für Verhöre „vorzubereiten“. Dies ist auch die Strategie der Verteidiger. Sein Anwalt Guy Womack, der Graner als nachdenklichen, bedächtigen und stabilen Menschen beschreibt, sieht seinen Mandanten als Befehlsempfänger höherrangiger Offiziere. „Die Bilder zeigen ihn bei der Ausführung von Anweisungen“, sagt er. Bei seinem Verhalten handle es sich nicht um Straftaten, schließlich habe er als Soldat keine Wahl, außer Befehlen zu folgen.

„Es sieht so aus, als wolle er die Nürnberg-Verteidigung anwenden: Ich habe doch nur Befehlen gehorcht“, sagt der Militäranwalt Thomas Moran mit Verweis auf die Rechtfertigungsstrategie von Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurden. „Das funktionierte damals nicht, und Graner wird auch heute damit keinen Erfolg haben.“

Menschenrechtsgruppen sehen in dem Verfahren einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Doch niemand solle dies als das Ende des Prozesses darstellen, sagt Reed Brody von Human Rights Watch. „Die Frage ist nicht nur, ob Graner für die Taten verantwortlich war, sondern seine Vorgesetzten ihn in dem Glauben ließen, er habe die Erlaubnis, zu misshandeln.“ Bislang haben die zuständigen Militärrichter jedoch Womacks Antrag abgelehnt, Graners unmittelbare Vorgesetzte vom Militärgeheimdienst als Zeugen vorzuladen. MICHAEL STRECK