Abu Masen tritt nicht in Jerusalem auf

Beim letzten Wahlkampftag vor dem palästinensischen Urnengang zeigt sich der sichere Sieger Abu Masen gegenüber Israel von der kooperativen Seite. Dessen Ministerpräsident Ariel Scharon nennt er einen „potenziellen Partner“ für den Frieden

AUS RAMALLAH SUSANNE KNAUL

Mit heiserer Stimme ergreift Mahmud Abbas noch ein letztes Mal im Wahlkampf das Mikrofon vor hunderten Frauen, die er eigentlich in Jerusalem hatte treffen wollen. Doch Abu Masen, wie der Fatah-Spitzenkandidat und sichere Sieger der am Sonntag anstehenden Präsidentschaftswahlen von den Palästinensern genannt wird, sagte seinen gestern geplanten Auftritt in der israelischen Hauptstadt ab. Offenbar wollte er nicht riskieren, von israelischen Sicherheitsleuten beschützt zu werden.

Ganz anders ist die Strategie seines Hauptgegners Mustafa Barghuti, der es am Zugang zum Tempelberg in Jerusalems Altstadt auf einen Eklat mit den Sicherheitskräften anlegte und prompt verhaftet wurde (siehe Kasten). Die Israelis hatten offiziell aus Sorge um die Sicherheit der Kandidaten Wahlauftritte auf dem Tempelberg untersagt.

Über eine Stunde müssen die Fatah-Frauen in Ramallah auf ihren Spitzenkandidaten warten, der zunächst einer christlichen Messe in Bethlehem beiwohnte und schließlich selbst sein Freitagsgebet absolviert. Ein Unterhaltungsprogramm mit aktuellen Sketchen zum Wahltag, unterbrochen von lauter Musik, zumeist der „Biladi“, der palästinensischen Hymne, hält das Publikum bei Laune. Als Abu Masen schließlich die Halle betritt, küsst er Frauen und Kinder auf die Wange, schüttelt zahllose Hände und erreicht schließlich erschöpft seinen Sitz.

Es war mit offiziell nur zwei Wochen ein kurzer Wahlkampf, doch der 69-Jährige ist öffentliche Auftritte dieser Art nicht gewohnt. Stets agierte er im Schatten seines Vorgängers Jassir Arafat, an den er gleich zu Beginn seiner Ansprache erinnert. Die „Märtyrer Palästinas“ sollen von Allah gesegnet sein, „allen voran Jassir Arafat“. In gleicher Art hält Abu Masen die Finger zum Victory-Zeichen geformt in die Luft, spricht vom Rückkehrrecht der Flüchtlinge und von der Hauptstadt „al-Quds“, Jerusalem. Die begeisterte Stimmung in der Halle steht in krassem Gegensatz zu der Trauer des Volkes, das vor kaum acht Wochen seinen Präsidenten zu Grabe trug.

Seither entwickeln sich die Dinge für Abu Masen überraschend günstig. Die zunächst befürchteten gewaltvollen Erbkämpfe um die palästinensische Führung bleiben aus, gleichzeitig gelingt den Palästinensern die Organisation von Wahlen beinahe noch innerhalb der in der Verfassung vorgeschriebenen Frist von sechs Wochen. Zwar boykottieren die islamischen Bewegungen den Urnengang, doch zumindest halten sich Hamas und Dschihad weitgehend an einen einseitigen Waffenstillstand. Israel zeigte Verhandlungsbereitschaft beim für die nächsten Monate geplanten Abzug aus dem Gaza-Streifen. Schimpfte Abu Masen zu Wochenbeginn Israel noch einen „zionistischen Feind“, so erklärte er am Donnerstag, dass er mit Israels Premier Ariel Scharon kooperieren werde. Der sei ein „potenzieller Partner“ für den Frieden.

Diese Haltung setzt sich offenbar auch zunehmend in der palästinensischen Bevölkerung durch. „Wir müssen in zwei getrennten Staaten friedlich nebeneinander leben“, meint Samir, der mit seinem Taxi vor der Wahlveranstaltung auf Kundschaft wartet. „Wenn Juden und Palästinenser aufeinander treffen, gibt es nur Probleme.“ Abu Masen sei der richtige Mann, um mit den Israelis zu verhandeln, schließlich „kennt er Scharon schon“ von früheren Treffen.

Abu Masen schwebt nun ein klares Mandat vor, um zu Ende zu bringen, was er vor gut eineinhalb Jahren begann. Damals scheiterte die Umsetzung der „Roadmap“, eines mit Israel vereinbarten Friedensplans, vor allem an Arafat.

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