Mensch, was zählst du?

SOZIALSTRUKTUR Kirchentag-Aktive sollen Eintrittskarten kaufen. Das hat Auswirkungen: Die einen bezahlen, die anderen bekommen Geld – und die Schwächsten bleiben weg

„Die Kluft wird größer zwischen Arm und Reich, und offenbar gewöhnt man sich dran“

Wise Guys, Kirchentagssong

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Wirtschaftskrise und Gerechtigkeit im Welthandel sind prominente Themen. Gereizt aber wird der Tonfall im Kirchentagsbüro, wenn eigene Finanzierungsmodelle zur Sprache kommen: Dass es Irrglaube sei, zu denken, Kirchliches müsse stets gratis sein, informiert Sprecherin Katja Tamchina. Für legitim hält sie, dass Mitwirkende – anders als etwa beim Katholikentag – Beiträge zahlen müssen: „Wir“, sagt sie, „zwingen ja niemanden zu kommen.“ Und immerhin ließen sich 35.000 Ehrenamtliche ihr Engagement gerne rund 29 Euro pro Kopf kosten.

Nicht alle aber zahlen freudig. „Dass wir das denen in den Rachen schmeißen müssen“,sagt Pastor Hans-Günter Werner, „das schmerzt uns.“ Denn auch wenn es ein Preis inklusive acht Teilnehmerausweise ist, bleiben 295 Euro Standgebühren eine Menge für die Arbeitslosenselbsthilfe Wedel, deren Geschäfte er ehrenamtlich führt. „Natürlich grenzt das die Schwächsten aus“, sagt Werner, ungewollt zwar – aber faktisch. Er hofft, den Beitrag erstattet zu bekommen, nachträglich. Zum Kirchentag fahren die Wedeler, „um unser Thema präsent zu halten“. Was nottut: Die Initiative ist die einzige ihrer Art beim Kirchentag.

Das liegt auch am Schwinden christlich orientierter Arbeitslosen-Vereine: „Es gibt sie nicht mehr“, sagt Pastor Werner in Nordelbien. „Ein regelrechter Kahlschlag war das“, bestätigt Siegfried Aulich von der ökumenischen Initiative Ikarus in Karlsruhe. Für ihn hängt das damit zusammen, „dass die EKD wirtschaftliche Fragen fast nur noch aus Unternehmersicht angeht“. Die Gemeinden seien für „Arme keine Anlaufstelle mehr“.

Was für ein Thema für ein Kirchentagspodium! Allein, für die Teilnahme in Bremen fehlen den Karlsruhern – mehrfach Gäste auf Katholikentagen – Zeit und Personal. Also letztlich Geld. Und während Bischöfin Margot Käßmann angesichts der Krise eine „Ethik des Genug“ fordert, bleibt der Kirchentag einer Ästhetik der Überbietung verpflichtet: „Man müsste da ganz schön Aufwand treiben, um aufzufallen“, sagt Lothar Schwachenwalde, Geschäftsführer der kirchlichen Initiative für Arbeit in Bochum. Die deshalb „andere Prioritäten“ setze.

So wie’s auch die Organisatoren selbst tun: Je nach Wohlwollen und Verhandlungsgeschick haben sich die Mitwirkendengruppen in vier Klassen ausdifferenziert. Teilnehmen werden solche, die gezahlt haben, jene, denen die Gebühren erlassen wurden, andere, die Kosten erstattet bekommen – und Mega-Show-Acts, wie die A-cappella-Band Wyse Guys . „Die Kluft wird größer zwischen Arm und Reich“, heißt’s in deren Kirchentagssong, „und offenbar gewöhnt man sich dran.“ Vor allem, wenn die Gage stimmt.

Auskunft über die gibt’s von den Schmuse-Swingern nicht. Aber als Benefizkonzert ist ihr Auftritt ebenso wenig annonciert wie der des Rappers Thomas D. Für beide hat der Kirchentag Sponsoren gewonnen, wie Chefsprecher Rüdiger Runge betont. Wen? „Die Kindernothilfe und Brot für die Welt.“ Die dürfen das – Spendensiegel konform – als Werbekosten abrechnen. „Sie können also nicht schreiben“, so Runge, „dass etwa der Gospelchor Varel die Auftritte mit seinen Teilnehmerbeiträgen finanziert.“ Gott sei Dank.