Die antitürkische Internationale

Die Union holt sich bei ihren Klausurtagungen Beistand aus dem In- und Ausland. Der Italiener Buttiglione und der Franzose Sarkozy sollen gegen Selbstzweifel helfen

BERLIN taz ■ Ach, wie tut das gut. In Stunden der Not, wenn alles schief geht, wenn alle nur noch über einen lachen und selbst gute Freunde konstatieren, dass man nicht mehr richtig tickt, dann könnte man sich verkriechen und in Selbstzweifel versinken – oder aber, welch Glück, es kommen nette Gäste zu Besuch, die einen ganz lieb trösten, weil sie erklären, warum man trotz allem immer noch und überhaupt und sowieso natürlich Recht hat.

Hereinspaziert, heißt deshalb in diesen Tagen die Devise bei den Klausurtagungen der Unionsparteien in Wildbad Kreuth und Kiel. Die von schlechten Umfragen und parteiinternem Unmut schwer gebeutelten Schwestern CDU und CSU können von lieben Gästen gar nicht genug bekommen. Aus aller Herren Länder werden sie nun eingeflogen, damit sie den rechten Glauben daran wiederbringen, dass nur die anderen, die Gegner, spinnen.

„Heute besteht die Gefahr, dass die Linke ein Projekt entwickelt, das Europa an den Abgrund führt“, beschrieb beispielsweise gestern Rocco Buttiglione bei der CSU in Kreuth die Lage. Der muss es ja wissen, ist er doch Europaminister in Italien. Und wie bestellt bestärkte Buttiglione die Union, nichts sei besser als weiter tapfer anzukämpfen gegen den EU-Beschluss, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu führen. Dass derselbe Buttiglione erst vor ein paar Wochen als Kandidat für die EU-Kommission durchfiel, weil er Schwulsein eine Sünde nannte, stört die Bayerisch-Christsozialen nicht im Geringsten.

Ganz im Gegenteil. Gerade weil er der Lieblingsfeind der Linken, Liberalen und Rot-Grünen ist, passt Buttiglione vortrefflich ins Konzept. Wie kein anderer steht er für die Neujahrsbotschaft der Union, wonach gegen den momentan leider herrschenden Mainstream in Europa nur eines hilft: ein fester Glaube an Gott und die eigene Weltvorstellung. Und obendrein eine neue, konservative, internationale Solidarität – gegen den Beitritt der Türkei.

Buttiglione steht bei diesem Kampf ganz vorne. Ihn einzuladen, wagt aber nur die CSU. Die CDU mag’s lieber etwas moderater, sie muss ja auch an die liberalen Großstadtmilieus etwa im Mai-Wahlland Nordrhein-Westfalen denken, die der allzu strenge Katholik denn doch verprellen könnte. Hoffnungsbringer Nummer eins für die gesamte Union ist deshalb Nicolas Sarkozy aus Frankreich.

Von dem neuen starken Mann der Konservativen in Paris erhofft sich die Union, dass er den türkeifreundlichen Kurs des jetzigen Präsidenten Jacques Chirac bald korrigiert. Damit den neuen Partner auch jeder kennen lernt, ist Sarkozy momentan im Dauereinsatz bei den deutschen Freunden. Nach seinem Gastauftritt in Kreuth vorgestern, von dem die CSU-Granden in höchsten Tönen schwärmten, wird er heute auch bei der CDU in Kiel erwartet.

Nun könnte Rot-Grün sagen: Aha, die Union muss sich ihren Beistand wohl von außen holen. Doch so ist es nicht, die Union hat auch aus den eigenen Landen Besuch von Türkeikritikern bekommen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Wolfgang Huber, ließ es sich nicht nehmen, die CSU bei einem Kamingespräch zu beraten. Ebenso wenig der neue BDI-Chef Jürgen Thumann, der in Kreuth kurzerhand die türkeifreundliche Haltung seines Vorgängers Michael Rogowski revidierte.

Bei so vielen netten Gästen kann man leicht vergessen, dass die Umfragewerte sinken und nur noch 8 Prozent der Deutschen der Union Kompetenz in der Gesundheitspolitik bescheinigen, wie die Allensbacher Meinungsforscherin Renate Köcher gerade herausgefunden hat. Was ist die Gesundheit schon gegen die Türkei. LUKAS WALLRAFF

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