Das Füllhorn des Glücks

Der triumphale Auftritt der deutschen Biathleten in Oberhof repräsentierte eine Sportart,der es momentan glänzend geht. Andere, etwa die Leichtathleten, können davon nur träumen

Wer Erfolg hat,dem wird von staatlicher Seite reichlich gegeben

VON MATTI LIESKE

Erst das Bad in der brüllenden und stöhnenden Menge am Schießstand, dann das mutige Hinabstürzen in die Wolfsschlucht, später die umjubelte und vom Stadionsprecher euphorisch verkündete Einfahrt in die „Sägespänerunde“, schließlich der tosend gefeierte Zieleinlauf. Es waren echte Festtage, die das deutsche Biathlon-Team und die 20.000 Zuschauer, die sich täglich in der Arena einfanden, in Oberhof erlebten. Nicht so groß und gigantisch wie vor einem Jahr an gleicher Stelle bei den Weltmeisterschaften, aber dafür erfolgreicher für die einheimischen Athleten, die ja fast alle in Schneeballwurfweite der kleinen thüringischen Sportmetropole aufwuchsen. Weltcup-Siege für Uschi Disl und Sven Fischer sowie in der Frauenstaffel, zweite Ränge für Kati Wilhelm und die Männerstaffel, dazu jede Menge Spitzenplatzierungen. Das breite Grinsen wollte gar nicht aus dem Gesicht der Bundestrainer Frank Ullrich und Uwe Müßigggang weichen.

In Oberhof präsentierte sich eine Sportart, der es glänzend geht in einem Land, dessen Sommersport zuletzt bei den Olympischen Spielen in Athen etliche, oft allerdings viel zu hoch gespannte Erwartungen enttäuscht hatte. Biathlon zeigt, ebenso wie Eisschnelllaufen, Rodeln oder Bob, die eine, strahlende Seite des Sportförderungskonzeptes, das dem deutschen Sport inzwischen zugrunde liegt. Wer Erfolg hat, dem wird von staatlicher Seite reichlich gegeben, auf dass der Erfolg sich emsig mehre. Wer keinen Erfolg hat, dem wird allerdings zügig genommen, sodass die Schwierigkeiten, zurück zur Spitze zu finden, sich beständig vergrößern. Eine Entwicklung, der sich im Augenblick vor allem die Leichtathletik ausgesetzt sieht.

Bei den Biathleten steht hingegen alles zum Besten. Die meisten sind bei der Bundeswehr, wo ihnen optimale Trainingsbedingungen geboten werden. Selbst Kati Wilhelm, der es in Thüringen zu langweilig wurde und die deshalb vom Leistungszentrum Oberhof nach Ruhpolding zog, wurde am Rande des Weltcups gar nicht müde, von den Vorzügen der Kasernierung zu schwärmen. Hübsch abgeschirmt von den Fans und auch den anderen Soldaten, wohnte das Team in der Bundeswehrkaserne nahe der Arena und konnte sich dort abseits von jedem Trubel vorbereiten, während die anderen Teams in Oberhofer Hotels residierten.

Auch in anderen Bereichen ist alles perfekt organisiert. Als der 23-jährige Nachwuchsmann Daniel Graf in den Weltcup-Kader berufen wurde, kam er aus dem Staunen gar nicht heraus. Serviceleute, Techniker, Waffenspezialisten, medizinische Betreuung – die Unterschiede zum Europacup, wo er zuvor startete, waren himmelweit.

Die meisten anderen Länder können von derartigen Bedingungen nur träumen. Bloß Russland und Norwegen gelingt es, Top-Biathleten und -Biathletinnen in einer ähnlichen Leistungsbreite an den Start zu schicken. Ansonsten sind diejenigen, die vorn mitmischen, meist Einzelfälle in ihren Teams, weshalb bei den Staffeln auch stets dieselben Länder dominieren und die Abstände oft gewaltig sind. Umso überraschender in Oberhof der Triumph der schwedischen Männerstaffel, deren deutscher Trainer Wolfgang Pichler danach Einblick in die Situation seines Teams gab. „Es gibt keinerlei staatliche Förderung“, berichtete der einstige Betreuer der ehemaligen Spitzenbiathletin Magdalena Forsberg, „und Sponsorenverträge gibt es nur mit dem Verband.“ Die Sportler können ihre Kleidung nicht selbst vermarkten und haben außer – seltenen – Preisgeldern keine Einnahmen. Entweder sie arbeiten nebenbei, wie Schwedens Bester Carl-Johan Bergman, der Computerprogrammierer ist, oder sie sind an der Universität eingeschrieben und von familiärer Unterstützung abhängig. „Wir haben gute Eltern“, sagt David Ekholm, der aufgrund des intensiven Trainingspensums, das ein Top-Biathlet braucht, nur selten dazu kommt, sich um sein Sportstudium zu kümmern.

Gar so karg geht es hierzulande auch in Sportarten, die nicht so reich gesegnet sind wie das Biathlon, selten zu. Dennoch kann es Frank Hensel kaum noch hören, wenn ihm die Wintersportler als leuchtendes Beispiel vorgehalten werden. Hensel ist Generalsekretär des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und hat seit Olympia eine Menge Sorgen. Statt vier Millionen Euro erhält die Leichtathletik nach dem schwachen Abschneiden bei der Pariser WM 2003 und in Athen für dieses Jahr nur noch 3,4 Millionen, das bedeutet Kürzungen bei Trainerstellen, Leistungsstützpunkten, Sportlern. Außerdem muss der DLV das neue Förderkonzept des Deutschen Sportbundes (DSB) umsetzen, das Effektivierung und stärkere Konzentration auf die Elite sowie den Nachwuchs vorsieht. Mit Sportarten wie Biathlon, wo die Athleten alle aus einer Region kämen, sei die Leichtathletik überhaupt nicht zu vergleichen, sagte Hensel bei der Vorstellung des neuen Förderkonzeptes im Dezember in Dortmund. Die Athleten kämen schließlich aus dem ganzen Land und es handle sich um 46 Disziplinen mit sehr unterschiedlichen Anforderungen. „Die sportartspezifischen Eigenheiten sind komplexer“, weshalb eine Konzentration auf wenige Stützpunkte nicht möglich sei. Konsequenterweise setzt der DLV verstärkt auf die Heimtrainer der Athleten, deren Position durch Honorarverträge, Lehrgänge und Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen gestärkt werden soll.

Die Einteilung in vier Kaderstufen und die strengen Kriterien für die Zugehörigkeit führen jedoch dazu, dass rund 20 Prozent der Leichtathleten ganz herausfallen. Zum A-Kader gehören nur noch Sportler, die Medaillen bei der WM gewonnen haben oder unter die ersten acht bei Olympia gekommen sind. Vom Verlust jeglicher staatlicher Förderung betroffen sind auch etliche verdiente Athleten der Vergangenheit, die zuletzt die erforderlichen Leistungen nicht mehr gebracht haben. Die Hoffnung ruht auf Nachwuchskräften, die in einem 56-köpfigen Top-Team konzentriert und gezielt auf Olympia 2008 hin unterstützt werden. Auch sie müssen jedoch härtere Kriterien erfüllen, um etwa an der WM dieses Jahr in Helsinki teilnehmen zu können – nicht ganz so krass wie bei den US-Trials, aber doch strenger als vorher. Gefordert ist zweimalige Erfüllung der Normen des Weltverbandes IAAF nach dem 1. April des jeweiligen Jahres. Einmalige Erfüllung genügt nicht mehr, Ausnahmen wegen Krankheit und Verletzung oder Nominierung aufgrund länger zurückliegender Spitzenleistungen, wie in Athen beim Dreispringer Charles Friedek oder der Hochspringerin Daniela Rath, fallen ebenfalls weg.

Die Gefahr von Demotivation ist groß, vor allem natürlich bei denjenigen, die gänzlich aus der Kaderstruktur herausfallen und finanzielle Einbußen erleiden. Dennoch geben sich Frank Hensel und seine Mitstreiter zuversichtlich, die sportliche Quadratur des Kreises, den Aufschwung mit drastisch gekürzten Mitteln, bewerkstelligen zu können. 2009 findet die Leichtathletik-WM schließlich in Berlin statt, und bei allen Aversionen gegenüber dem Biathlon-Vergleich könnte ein kleines bisschen Oberhof-Flair im Olympiastadion nicht schaden.