Nazipopkompatibel

Effekte und Gefühlsrauschen: Guido Knopp zeigt, wie 1945 Deutsche Opfer wurden („Der Sturm“, 20.15, ZDF)

„Der Sturm“ bebildert die Flucht vor der Roten Armee aus Ostpreußen 1945 – und ist dabei ein doppelt unvermeidlicher Film. Deutsche als Opfer haben Konjunktur. Und wer 2005 im Erinnerungsgeschäft mithalten will, braucht deutsche Opfergeschichten. Unvermeidlich ist ohnehin Guido Knopp, die Verkörperung des TV-Erinnerungsbetriebes.

Auch „Der Sturm“ kommt nicht ohne – eher assoziative – Geschichtsverdrehung aus. Auf Schaubildern sehen wir – blutend rot – die russische Armee die Deutschen – in unschuldigem Weiß – umzingeln. Das hätte Goebbels gefallen. Zur Ausgewogenheit kommen dafür am Ende immerhin ein paar Russen zu Wort, die den Terror der Wehrmacht und ihren Hass auf die Deutschen schildern.

„Der Sturm“ ist ein deprimierender Film. Nicht, weil er Deutsche als Opfer zeigt, sondern weil er es in einer Sprache tut, für die Effekt alles und der Inhalt eigentlich egal ist. Zuerst hört man Trommelwirbel. Soldaten rennen auf dem Vormarsch an lodernden Feuer vorbei. Flakgeschütze feuern in nachtblauen Himmel. Eine Klarinette in Moll legt sich über den martialischen Trommelsound. Ein Kind auf dem Arm der Mutter blickt uns mit großen Augen an. Ein endloser Treck von Menschen zieht über die gefrorene See. Wir blicken in ein trauriges Flüchtlingsfrauengesicht. Ein Flugzeug feuert MG-Salven ab. Ein Haus brennt, die Klarinetten klagen, die Trommel wirbeln. Dann erscheint ein Landser in Zeitlupe, jung, blond, dreckverschmiert. Er winkt mit einer Geste abgeklärter Verzweiflung ab. Tapfer sieht er aus, und irgendwie nazipopkompatibel – das sind die ersten 21 Sekunden des „Sturms“.

So geht es auch weiter. Kriegsbilder sind oft in Zeitlupe zu sehen, weil sie dann intensiver wirken. Dieser Bilder- und Geräuschteppich will uns keinesfalls die Möglichkeit lassen, den Bildern mal nah und mal fern zu sein. Er zielt auf eine diffuses Gefühlsrauschen, eine Mixtur von Schicksal, Tragik, Bedeutung, vermischt mit einer stickigen Geilheit auf Gewalt.

Die Zeitzeugen schrumpfen zu Authentizitätszeichen. Sie liefern kurze, runde, fertige Geschichten vom Leid damals ab. Erinnerung, sagt „Der Sturm“, ist etwas, das man abfragen kann. Das ist eine Lüge. Erinnerung an ein Trauma, das vor sechzig Jahren geschah, ist etwas Stockendes, immer wieder Neu- und Umformuliertes.

Um das sichtbar werden zu lassen, müsste man den Zeitzeugen zuschauen. Doch nichts passt zur panisch lärmenden Ästhetik dieser history fiction weniger als Innehalten.

„Der Sturm“ ist ein Film, bei dem einem Hören und Sehen vergehen soll. STEFAN REINECKE