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Wonach sie verlangen

Zwei Seelen, ach, in Vernons Brust: Das Schauspielhaus Köln hat sich DBC Pierres Roman „Jesus von Texas“ angenommen und nun eine Theaterfassung uraufgeführt. Prima Komplexitätsreduktion. Nur der Ich-Erzähler ist nun gespalten

VON ALEXANDER HAAS

Keine leichte Aufgabe, einen jedenfalls an der Oberfläche komplexen Roman wie „Jesus von Texas“ von DBC Pierre in eine funktionierende Theaterfassung zu übertragen. Immerhin sind es sicherlich weit über 25 Figuren, die das Buch von Dirty but Clean Pierre bevölkern. So nennt sich der in Australien geborene Autor und Booker-Prize-Gewinner von 2003, Peter Finlay, unter Anspielung auf seine inzwischen medienwirksame Exkarriere als Drogensüchtiger und Kleinkrimineller.

Seinem alten Leben hat Pierre abgeschworen. Jedenfalls hat er das in zahlreichen Interviews verkündet – ganz gemäß der Lebensmaxime eines Axtmörders, die sein Romanheld Vernon Gregory Little zu akzeptieren bis fast zum Schluss des Buchs sich weigert: „Wisse um die Bedürfnisse der Menschen, und sie tanzen nach deiner Pfeife.“ Also: „Gib ihnen, wonach sie verlangen.“

Aber: Die Komplexitätsreduktion ist Friederike Heller und Jörg Vorhaben gelungen. Die junge Regisseurin und der Hausdramaturg zeichnen für den Stücktext verantwortlich, den Heller jetzt in der „Schlosserei“ des Kölner Schauspiels als Uraufführung inszeniert hat.

Vernon ist 15, fühlt sich „wie eine faulige Hülle sinnloser Markennamen“, wohnt mit seiner wabbeligen, diätprogrammsüchtigen Mutter im fiktiven Martirio, der „Barbecuesaucen-Metropole von Central Texas“, und hat außerdem mit zwei weiteren Problemen zu kämpfen. Erstens hat sein Freund Jesus Navarro 16 Mitschüler seiner Klasse erschossen, eine Tat, derer jetzt Vernon verdächtigt wird. Jesus hatte am Ende auf sich selbst gezielt und Kleinstadttratsch, Swat-Teams und Medien brauchen schnellstens einen lebenden Täter.

Ausgehend von diesem Szenario präsentiert der Roman mit teilweise grandiosem Sprachwitz und unter bisweilen überstrapaziertem Einsatz satirisch gemünzter Amerikaklischees Vernons Höllentrip durch die Mühlen von U-Haft, Justiz und medialer Sensationsgier. Am Ende sitzt Vernon im Knast, wo der nächste Todeskandidat im „ultimativen Reality-TV“ per Netzabstimmung gewählt wird.

Friederike Hellers Kölner Inszenierung bricht den Wust an Figuren und den mit ihnen verbundenen Geschichten geschickt herunter.

Vernon behält sie als Ich-Erzähler aus der Vorlage bei (Lukas Holzhausen), besetzt ihn aber doppelt. Janning Kahnert ist der Vernon der Spielszenen, von denen der Erzähler-Vernon berichtet. Die Aufsplittung zeigt auf schöne und geschickte Weise die unterschiedlichen Seelen Vernons. Sensibilität und Scham scheinen im (etwas zu blassen) Spiel Kahnerts durch, Wut und das Rohe bei Holzhausen. Auch sonst setzt Heller auf klare Verhältnisse und inszeniert die Geschichte Vernons als bewusste Chargenparade: Was Erzähler-Vernon vorgibt, spielt das Figurenensemble solo oder zusammen vor.

Die einfache Struktur eignet sich bestens, um grotesk zu überzeichnen. Doch dafür braucht es den Mut, der Groteske auch Raum zu geben, und ein Ensemble, das solch eine heikle Struktur zu tragen vermag. Mit beidem hat die Kölner Aufführung zu kämpfen.

Erst als Heller die Spielsituationen länger laufen lässt, auch mal aus dem Ruder laufen lässt, verliert sich das Gefühl, man habe es mit gewollter Schultheaterästhetik zu tun. Hier und da spielt sich das Ensemble frei. Highlights komisch-anzüglichen oder souveränen Spiels liefern Claude de Demo als Taylor Figueroa – die Frau, der Vernon bis nach Mexiko hinterherrennt, und die ihn (vorläufig) doch ans Messer liefert – oder Lukas Holzhausen, der als Erzähler-Vernon mit Glatze und Intellektuellenbrille wie ein weißer Spike Lee aussieht.

Am Ende kommt der Kölner „Jesus von Texas“ ans Kreuz, wo er noch ein letztes schönes Seelenlied hört, vor den Fenstern der Theaterhalle gesungen von seiner einstigen Verehrerin Ella. Toller Kitsch. Effektsicher bricht Heller auch den. Holzhausens Vernon erzählt das wirkliche Ende, das für Vernie den Freispruch bereithält. So viel Rosa war nie – in einer Aufführung, die sich ihrer Mittel leider allzu sicher ist.

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