Keine schwarzen Schafe oder Konten

Die Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses zieht einen Schlussstrich unter das leidige Thema angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten. Diejenigen, die Aufklärung forderten oder darüber berichteten, gelten nun als Nestbeschmutzer

VON MECHTHILD BLUM
UND DANIELA WEINGÄRTNER

Bei ihrer Vollversammlung gestern in Brüssel haben sich die Mitglieder des Jüdischen Weltkongresses (WJC) fast einstimmig hinter ihren Vorstand gestellt. Damit ist ein mehr als ein Jahr dauernder Streit über mög-liche finanzielle Unregelmäßigkeiten vom Tisch. Seit vergangenen September hatten mehrere Medien, darunter die Jerusalem Post, berichtet, Ex-Vorstandschef Israel Singer habe 1,2 Millionen Dollar aus einer israelischen Spende für seine private Altersversorgung abgezweigt.

Mit der Vollversammlung wollte die Chefetage des WJC deutlich machen, dass es in der Organisation weder schwarze Schafe noch schwarze Konten gibt. Stephen Herbits, der ehemalige Berater von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, wurde als Krisenmanager eingesetzt. Er beauftragte renommierte Buchprüfungsgesellschaften damit, den Weg der 1,2 Millionen Dollar zurückzuverfolgen. Die Firmen kamen alle zu dem Ergebnis, dass sich das Geld weiterhin in der Verfügungsgewalt des WJC befindet.

„Es gab keinerlei Hinweis auf Geldwäsche oder andere Unregelmäßigkeiten“, sagte Herbits. Bedauerlich sei nur, dass die aufwändige Prüfung so viel Geld verschlungen habe. „Es ist eine Schande, dass die ganze Debatte in der Öffentlichkeit ausgetragen worden ist.“ Ähnlich äußerten sich fast alle anderen Sprecher. Studenten hielten Transparente hoch, auf denen stand: „Wir vertrauen den Führern des World Jewish Congress“. Der Prüfungsbericht von Herbits wurde fast einstimmig abgesegnet, ohne dass die tausend Seiten umfassende Dokumentation viel Beachtung fand. Sie sollte wohl vor allem ein Signal aussenden: Der WJC hat nichts zu verbergen.

Die eigentlichen Schuldigen hatte die Vollversammlung rasch gefunden: Jerusalem-Post-Kolumnist Isi Leibler, der mit seiner Palastrevolution angeblich den seit 25 Jahren amtierenden Präsidenten Edgar Bronfman hatte beerben wollen, und Alfred Donath, den Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. Der betagte Donath versicherte den Delegierten, die Schweizer Gemeinden seien stolz, Mitglieder des WJC zu sein. „Wir wollten doch nur wissen, warum das Genfer Büro so abrupt geschlossen worden ist. Die einzige Möglichkeit, ein Gerücht aus der Welt zu schaffen, ist doch, es genau zu untersuchen.“

Die meisten Redner machten deutlich, dass sie Leibler und Donath für Nestbeschmutzer halten. Die Diskussion habe der Organisation und dem jüdischen Volk enormen Schaden zugefügt. Alle Organisationen und Regierungen, die in den vergangenen Jahren zähneknirschend Wiedergutmachung an den WJC gezahlt hätten, würden sich nun die Hände reiben. Auch diese Anspielung richtete sich vor allem an die Schweiz. Als jüngsten Verhandlungserfolg hatte der WJC 1998 eine pauschale Abfindung von 1,25 Milliarden Dollar von Schweizer Banken für die auf Schweizer Nummernkonten vermuteten Vermögen ermordeter Juden erreicht.

Das Demokratiedefizit im WJC und die undurchsichtigen Regeln, nach denen die Wiedergutmachungssummen verteilt werden, kam nicht zur Sprache. Auf die Frage, ob eine Organisation demokratisch genannt werden kann, die seit 25 Jahren denselben Präsidenten hat, der gleichzeitig als größter Spender 25 Prozent zum Budget beisteuert, antwortete Singer dieser Zeitung: „Das ist bei allen großen Organisationen so. Die Vereinten Nationen werden ja auch mehr oder weniger von den USA gesteuert, die der größte Geldgeber sind.“

Die Zusammensetzung des neu geschaffenen Finanz- und Haushaltsausschusses verrät ebenfalls einiges darüber, was der WJC unter Demokratie und Transparenz versteht: eins der fünf Mitglieder ist Matthew Bronfman, Sohn des umstrittenen WJC-Präsidenten.