Leader of the Pack

Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben die Rolle der Staatsmänner perfektioniert. Mit einem bitteren Signal: Rot-grüne Politik bedeutet nur mehr Mehltau, der sich über das Land legen wird

VON JAN FEDDERSEN

Der genaue Wortlaut ist ja nie überliefert worden, doch dem Sinn nach wissen es alle Beteiligten seit Sommer vorigen Jahres genau: Die Union, abseits Merkels & Co., glaubt selbst nicht daran, bei der nächsten Bundestagswahl Rot-Grün abzulösen. Edmund Stoiber, vor gut zwei Jahren ja auch schon gescheitert beim Versuch, Gerhard Schröder und die Seinen zu stürzen, diktierte damals CSU-intern, gegen Schröderfischer hätten „Leichtmatrosen“ keine Chance – und gemeint waren, klar, Merkel und ihr Weggefährte Guido Westerwelle von der FDP.

Stoibers Verdikt war, das blieb unbemerkt, allenfalls nur nebenbei gehässig gemeint. Hauptsächlich wusste der bayerische Ministerpräsident die gefühlte Polittemperatur im Lande zu deuten – und in dieser Hinsicht camouflierten die Proteste um die Hartz-IV-Gesetze nur die Not der Union, es gegen die Rot-Grünen nicht aufnehmen zu können. Mehr noch: Die Proteste gegen Sozialabbau waren zugleich auch eine Liebeserklärung an Schröder und seine Partei. Denn der Aufruhr kam von Herzen, aus enttäuschter Liebe. Und dieser Kummer wurde getröstet, als im Gefolge der Demonstrationen und Umzüge die Union obendrein als die wesentlich kältere Partei wahrnehmbar wurde: Das war für Rot-Grün besser als strategisch womöglich erhofft. „Kopfpauschale“ – das klang wie Kopfgeld und wurde von der Bevölkerung auch so empfunden; da musste das Konstrukt namens „Bürgerversicherung“ überhaupt nicht mehr detailreich erörtert werden.

Kaltherzig, buchhalterisch

Und als es galt, die gefühlte Gesellschaftslage nachhaltig zu beglaubigen, versprachen die Regenten 500 Millionen Solidaritätskapital für die Flut-Regionen am Indischen Ozean. Eine abstrakte Summe, die sich niemand ernsthaft als portemonnaiefähige Größe vorstellen kann – es hörte sich aber schön und mitfühlend an. Und was macht die Union, wenigstens Teile von ihr? Mäkelt und verlegt sich aufs kleine Karo. Ob das denn bezahlbar sei … Kaltherzig, kleinlich und buchhalterisch. Ihr Kontrahent, Gerhard Schröder, würde die Lage seiner Opposition wohl so, zart und süffisant natürlich, kommentieren: „Mir scheint das nicht vernünftig.“

Hört man sich, jenseits offizieller Verlautbarungen, in CDU und CSU um, ist dort schiere Verzweiflung spürbar. Selbst die FAZ attestiert der Regierung säuerlich-erstaunt zuletzt fehlerfreies Agieren: Da soll keine schlechte Laune aufkommen bei Merkel und den Ihren? Denn sie weiß es ja am besten: Nicht ihr personeller Zwist irritiert das Volk, vielmehr ihre inhaltliche Armut.

Die Agenda wird wieder vollständig von Rot-Grün dominiert: Sei es in puncto Arbeitsmarktfragen, im Hinblick auf Außenpolitisches, in der Frage der Geschlechterdemokratie oder in Sachen Patriotismus.

Leidenschaftslose Union

Die Union wirkt überall wie ein Modell von gestern. Steuern runter, Washington ist klasse, Frauen sind zunächst Mütter, und Patriotismus ist, wenn man eine Debatte über ihn röhrend zu führen vorgibt. Ansonsten? Aversion gegen die Homoehe, gegen humane Erwägungen zur Integration von Einwanderern und die Gesamtschule. Antihegemonialer kann man sich nicht profilieren.

Es herrscht weniger Wechselstimmung denn je im Lande; man respektiert Schröderfischer als Schwermatrosen, man glaubt den anderen jedenfalls nicht, dass sie es besser könnten. Anders gewiss: Aber wozu sollte man das ausprobieren wollen? Die Regierung wird keine Fehler mehr machen, denn sie wird das Reformtempo auf ein Minimum reduzieren – warum auch nicht?

Ein gutes Jahr nur noch bis zum Bundestagswahlkampf: Da bleibt nur noch Zeit für Gesten und Bekundungen. Politik ist ein Geschäft meist kurzfristiger Gelegenheiten – nur Fantasten glauben an filigran ausgetüftelte Programme und fußnotensatt formulierte Hegemonialansprüche. Rot-Grün hat das Heft längst wieder in der Hand: Das und nur das war die Botschaft der SPD-Klausur in Weimar. Schröder, so seine Bild-Chronisten, habe dort in einem Antiquariat eine alte Ausgabe von Schillers „Johanna von Orléans“ gefunden und sich Muße zum Lesen gegönnt: Solche Lektüre kann sich nur einer leisten, der, mit Hilfe von „Glotze und Bild“ (angeblich Schröder), aus dem Gröbsten raus ist – und das Stück mit Genuss lesen wird.

Da weiß sich einer mit den Lebensgefühlen der Mehrheit einig. Wie einst Adenauer, wie Kohl oder Schmidt. Rot-Grün legt sich mählich wie Mehltau über das Land. Schwarz-Grün ist längst wieder passé. Diese Allianz allein hätte Attraktion als Alternative zu Rot-Grün. Der Nachwuchs der Union weiß das. Er hat Geduld.