RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN
: Richtige Kanzlerin, falsche Partei?

AUSSERHALB DES RECHTEN SPEKTRUMS SIND MERKEL-GEGNER SCHWER ZU FINDEN. ABER HAT DAS FOLGEN FÜR DIE WAHL? AM 7. JUNI KÖNNEN ALLE SCHON MAL ÜBEN

Endlich habe ich jemanden gefunden, der Angela Merkel nicht mag. Es war im Café Einstein Unter den Linden. Wir saßen zu viert auf der Terrasse zwischen den Touristen, der Kellner servierte Backhendln. Da brach es ganz unvermittelt aus einem in der Runde heraus. Die Frau denke doch nur an ihre Macht, Überzeugungen habe sie keine, Visionen schon gar nicht. Er verachte dieses Durchgewurstele und könne nicht verstehen, warum Merkel so beliebt sei.

Nicht dass mir solche Argumente unbekannt gewesen wären. Als CDU-Berichterstatter hatte ich sie schon oft gehört. Von Christdemokraten. Aber im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis? Von Leuten, die ich im Verdacht habe, habituell die Grünen zu wählen – vielleicht auch SPD oder Linkspartei, die CDU allenfalls im Geheimen? Es ist ein Eindruck, den auch Umfragen stützen: Grünen-Anhängern ist Merkel näher als der biedere Lipperländer Frank-Walter Steinmeier.

Über Helmut Schmidt pflegten Konservative zu sagen, er sei der richtige Kanzler in der falschen Partei. Er regierte, was heute gern vergessen wird, in einem wenig polarisierten Parlament. Die CDU hatte nach dem gescheiterten Misstrauensvotum 1972 ihre Oppositionsrolle angenommen. Sie näherte sich mit Generalsekretären wie Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, mit Begriffen wie der „neuen sozialen Frage“ sozialdemokratischen Positionen an. Die Staatsfeinde standen außerhalb des Parlaments, eine parteipolitische Polarisierung kehrte erst mit dem Strauß-Wahlkampf 1980 zurück.

Ist Angela Merkel die richtige Kanzlerin in der falschen Partei? Dahinter steht die Frage, die Wahlstrategen gerne stellen: Warum verharrt die Union bei ihrem bescheidenen Wahlergebnis von 2005, während Merkels Sympathiewerte seither von Rekord zu Rekord eilten? Die Kanzlerin selbst antwortete kürzlich mit einem Vergleich. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher sei über Jahrzehnte der beliebteste Politiker der Republik gewesen. Trotzdem sei seine FDP über zehn Prozent der Wählerstimmen nicht hinausgekommen.

Das ist natürlich Unsinn, weil Genscher nie Kanzlerkandidat war und die FDP keine Volkspartei ist. Besser passt der Vergleich mit Schmidt. Auch ihm gelang es kaum, seine Beliebtheit in SPD-Stimmen umzuwandeln. Anders als Willy Brandt, der die Union 1972 knapp hinter sich ließ, blieb Schmidt bei Wahlen stets deutlich hinter CDU und CSU zurück. Sein Amt verdankte er allein dem Umstand, dass er die FDP bis 1982 bei der Stange halten konnte.

Ginge es der CDU besser, wenn sie den falschen Kanzler in der richtigen Partei hätte? Wohl kaum, auch dagegen spricht der Vergleich mit Helmut Schmidt. Als der damalige Kanzler 1982 auch an der eigenen Partei gescheitert war, durfte die SPD wieder ganz bei sich sein. In der Wählergunst sackte sie daraufhin von Wahl zu Wahl ab.

Wen muss man wählen, wenn man Merkel will? Die FDP scheidet aus, weil sie im Zweifel auch Steinmeier zum Kanzler wählt. Die Union ist ebenfalls keine gute Wahl. Populär ist Merkel als Kanzlerin der großen Koalition. Wer CDU wählt, riskiert aber Schwarz-Gelb. Unter diesem Gesichtspunkt spricht alles für die SPD. Auch hier bleibt aber das Restrisiko, das dem Kandidaten Steinmeier doch noch das Zimmern eines Ampelbündnisses gelingt. Aus diesem Grund scheidet auch ein Votum für die Grünen aus. Bleibt eigentlich nur noch die Linkspartei. Eine Koalition mit ihr haben SPD und Union gleichermaßen ausgeschlossen. Jede Stimme für die Linke erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass die derzeitige große Koalition fortgesetzt wird – mit Angela Merkel an der Spitze.

Das alles klingt verzwickt, und so ist es auch. Zum Glück bietet das Wahljahr genügend Zeit zum Üben. Am 7. Juni ist Europawahl, in einigen Bundesländern auch Kommunalwahl. Da bietet sich die Gelegenheit, das neue Wahlverhalten schon mal zu erproben. Bevor es dann ernst wird am 27. September. Und man sich endgültig entscheiden muss zwischen falschen Kanzlern und richtigen Parteien.

Den Merkel-Verächter habe ich übrigens im Verdacht, dass er gar nicht wählen geht – und der Kanzlerin damit in die Hände spielt.

■ Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz

Foto: Archiv