Kampf um die Königin der Knollen

30 Jahre lang waren wir glücklich mit „Linda“, der lizenzierten Lieblingszüchtung deutscher Kartoffelproduzenten- und esser. Doch jetzt droht ausgerechnet unserer Stammknolle das Ende: „Linda“ soll sterben, weil ihr Züchter nichts mehr an ihr verdient

von HANNA GERSMANN
und STEFFEN GRIMBERG

Vergessen Sie Hartz IV, steigende Ölpreise und miese Einzelhandelsbilanzen. Es kommt alles noch viel schlimmer: Linda ist in Gefahr. Linda, die gelbfleischige, die halbfestkochende, die ideale Salatware. Eben Linda, Deutschlands beliebteste Kartoffelsorte.

Fade? Fade! Fade! Genau das ist das Problem. Geht die Linda vom Markt, geht die bestschmeckende der ohnehin nur noch wenigen Kartoffelsorten. „Cremig, würzig und buttrig im Geschmack“, nennen sie Liebhaber. Das Kilo kostet rund ein Euro, ist im Westen besonders beliebt (in den neuen Ländern mag man’s eher mehlig). Schon unsere Großeltern schworen auf sie, kellerten sie gleich zentnerweise ein. Doch bald hat es sich mit dem guten Geschmack. Denn der Lüneburger Züchter Europlant, dem die Marke Linda gehört, will das Saatgut vom Markt nehmen. Aber die Retter nahen: Gestern hat sich ein erster Linda-Freundeskreis gegründet.

Initiator Karsten Ellenberg findet es nämlich nicht egal, welche Sorte Solanum tuberosum in Pommes, Reibekuchen oder Kartoffelgratin steckt. Er ist Biobauer im niedersächsischen Barum und so etwas wie der König der Kartoffel. Er liebt sie als Salzkartoffel, Pellkartoffel, Bratkartoffel, Kartoffelpüree. Deshalb pflegt er die alten Sorten, kreuzt sie, pikiert sie, pflanzt sie. Rund 100 verschiedene baut er an – blaue, lila marmorierte, gelbe.

Bunte Kartoffeln gibt es wirklich. Nur schaffen sie es nicht in den Plastikschwitzbeutel im Supermarkt. Dort ist die Auswahl geradezu ärmlich: Solara, Agria, Belana, Silena, Bientje – und eben die Linda. Letztere wird fast überall verkauft. Noch.

Das Problem: Nur wenn eine Kartoffelsorte durch das Bundessortenamt in Hannover zugelassen ist, darf auch das Saatgut dafür verkauft werden. Sie muss angemeldet und geprüft werden. Zum Beispiel auf Virenresistenz, Ertragskraft, Geschmack und Form. Durchläuft sie erfolgreich alle Instanzen – sie muss insgesamt besser sein als alle bisherigen Sorten –, wird sie in die Sortenliste aufgenommen und ist damit zugelassen. Nur 160 Kartoffelsorten – von tausenden bekannten – sind dort noch gelistet. Die Regelungen haben ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. So sollte die Ernährung des Volkes und die Qualität des Ernteguts gesichert werden.

Seit 1950 gibt es den Sortenschutz, der ähnlich wie ein Patent oder Copyright funktioniert. Bauern, die die jeweilige Sorte anbauen, müssen dem Züchter Lizenzgebühren zahlen. Bei Linda ist dieser Sortenschutz Ende 2004 nach 30 Jahren ausgelaufen. Bauern dürften die Sorte also künftig gebührenfrei anbauen. Doch Europlant hat die Zulassung von Linda, die eigentlich noch bis 2009 lief, streichen lassen. So darf auch niemand anderes Saatgut für Linda vertreiben. „Der Züchter will lieber seine neue, mehr Geld einbringende Sorte verkaufen“, schimpft Ellenberg. Jörg Renatus von Europlant hält dagegen: „Wir können die bewährte Sicherheit und Qualität nicht mehr gewähren, wenn der Sortenschutz ausgelaufen ist.“

Insider berichten, Europlant sei in der Branche als wirtschaftlicher Hardliner bekannt. Vor einigen Jahren habe die Firma sogar eigene Kolonnen durchs Land geschickt, die Bauern ausspähten, die sich vor den Lizenzgebühren drücken wollten. „Da wurden gezielt Leute ins Unglück gestoßen“, so ein Kritiker.

Natürlich darf weiterhin jeder Bauer die Kartoffeln auch selbst großpäppeln. Aber das ist sehr aufwändig. Ellenberg macht das und Organisationen wie Vern, der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen. Alte Knollen bekommen sie von der Genbank in Groß-Lüsewitz bei Rostock. Einige tausend Sorten sind dort in der Nähe der Ostsee gelagert. Dort wo die Viren wegen des Seewindes kaum eine Chance haben. Denn genau das ist das Problem: Viele Sorten sind anfällig. Auch Linda, die Ellenberg nun retten will. Er hat ihre Neuzulassung beantragt, rechnet sich aber wenig Chancen aus.

Denn das Ende von Linda steht für einen Trend im Agrobusiness: „Es geht eben in erster Linie um kommerzielle Verwertung“, sagt Rüdiger Vögler vom Brandenburger Landesumweltamt, der auch bei Vern mitarbeitet. Anforderungen wie voll maschinisierte Ernte, Lagerfähigkeit und Vorgaben der Handelslogistik lassen ganze Sortenfamilien wegfallen. Bei der Kartoffel drohe nun eine Entwicklung wie bei der Braugerste: Weil immer weniger Großkonzerne die Bierindustrie kontrollierten, sind dort noch gerade zwei Sorten marktfähig, so Vögler. Was soll’s – der Verbraucher schluckt’s.

Dabei lässt sich in der Nische durchaus ein Markt auch für alte Kartoffelsorten jenseits der Massenware Linda finden. Doch weil die deutsche Sortenliste überaus streichfreudig war, stammen diese meist aus kartoffelfreundlicheren EU-Nachbarländern. Vögler will solche Kartoffeln wieder als das bewusst machen, was die ursprünglich aus Süd- und Mittelamerika stammende Knolle ist: ein Gemüse nämlich. „Wir haben auch bei der Kartoffel das Schwein zur Sau gemacht. Da kann kaum ein Anbaubetrieb erwarten, dass er Preise von mehr als zehn Cent pro Kilo erzielt.“ Beim „Bamberger Hörnchen“, der „Heideniere“ oder den „Blauen Schweden“ sieht das anders aus. Mittlerweile interessiert sich auch die Gastronomie wieder für die alten und besonderen Sorten: Weil sie besser schmecken als die „austauschbare Sättigungsbeilage“ aus der Agrarfabrik. Ob hierin auch Hoffnung für Linda liegt, bleibt abzuwarten: Schließlich ist sie ein Massenprodukt ganz nach der Räson des Alten Fritz, der die Preußen zu Kartoffelfressern machte.