Der liebe Frieden

Das pazifistische Wächteramt haben die Grünen inzwischen aufgegeben. Gelegentlich protestiert die Basis – folgenlos

VON BETTINA GAUS

Manchmal geht es in der Politik zu wie im realen Leben. Verlorene Unschuld lässt sich nicht wiedergewinnen, und wenn eine besonders weit reichende Entscheidung erst mal getroffen wurde, scheinen alle verwandten Fragen nur noch von minderer Bedeutung zu sein. Mit Beginn des Kosovokrieges, spätestens aber seit dem Afghanistanfeldzug werden Themen wie Entwicklungspolitik, Menschenrechte, Rüstungsexport und Asylfragen von den Grünen dort abgelegt, wo sie auch in den anderen Fraktionen ruhen: bei den jeweiligen Fachleuten. Was die zu sagen haben, interessiert im Regelfall nur andere Experten.

Die Feststellung, dass sich die Grünen von den friedenspolitischen Grundsätzen ihrer Gründerjahre entfernt haben, ist banal. Müdes Achselzucken sowohl bei denen, die darin einen Verrat sehen, als auch bei denen, die diese Entwicklung für eine vernünftige Anpassung an veränderte Gegebenheiten halten. Gelegentlich besinnt sich allerdings die Basis auf ihre Wurzeln. Das bleibt folgenlos. Als ein Parteitag im Oktober mit knapper Mehrheit die von der rot-grünen Koalition zugesagte Lieferung von 20 Fuchs-Panzern an den Irak ablehnte, zeigte sich sogar die gerade frisch gewählte Parteispitze davon völlig unbeeindruckt.

Deutsche Rüstungsgüter sind ohnehin Exportschlager. Die Ausfuhren von Kriegswaffen stiegen 2003 auf einen neuen Höchststand, der Bericht für das letzte Jahr liegt noch nicht vor. Im EU-Ministerrat stimmte der grüne Außenminister für eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Libyen. Der Wunsch des Kanzlers, auch das Waffenembargo gegen China möge aufgehoben werden, stößt zwar auf zarten Widerspruch des Koalitionspartners, löst aber keine Regierungskrise aus.

Das Thema Menschenrechte bleibt in den Beziehungen zu den wichtigen Handelspartnern Peking und Moskau weitgehend ausgespart. Noch immer hat die Regierung nicht die UN-Kinderschutzkonvention in vollem Umfang ratifiziert, die Jugendliche besser vor Abschiebung schützen würde. Die Flughafenregelung, mit der unerwünschte Asylbewerber von der Bundesrepublik ferngehalten werden sollen, wurde von den Grünen scharf kritisiert. In der Opposition. Inzwischen ist nicht die Regelung, wohl aber das Thema vom Tisch.

Die Liste vergessener Anliegen ließe sich fortsetzen. Der liebe Frieden scheint für diejenigen, die in der Partei Karriere gemacht haben, nur noch in einer Hinsicht eine zentrale Rolle zu spielen: wenn es um die Koalitionsräson geht. Als die Grünen die politische Bühne betraten, konnten sie nichts selbst durchsetzen, aber sie zwangen andere dazu, Position zu beziehen. In der Regierung haben sie ihr Wächteramt aufgegeben. Menschenrechtsorganisationen, Friedensaktivisten und die Kirchen gingen ihrer parlamentarischen Verbündeten verlustig. Und es zeigte sich: Probleme, die von keiner Bundestagspartei thematisiert werden, sind keine Probleme. Diese Erkenntnis verdankt Deutschland den Grünen. Immerhin. Und vielleicht ja demnächst auch einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat.

Bettina Gaus, 48, hat die Grünen lange mit Sympathie und noch länger mit Interesse beobachtet. Inzwischen mangelt es ihr an beidem.