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: Blaue Subversion

Es hat gedauert, dieses Buch bis zum bitteren Happyend zu lesen. „Blaue Wunder“ heißt es und stammt von der 1968 geborenen Stern-Journalistin IIdikó von Kürthy. Über die drei vorherigen Bücher von von Kürthy, „Mondscheintarif“, „Herzsprung“ und „Freizeichen“, hatte man nur wenig Gutes gehört: flaches Zeug, schlimmer als Groschenheftchen, Dreck. Nur wurden diese Bücher, wie der Klappentext von „Blaue Wunder“ verrät, bislang zweieinhalbmillionenmal verkauft und in 14 Sprachen übersetzt. Und auch „Blaue Wunder“ steht seit 15 Wochen in den Topten der Spiegel-Bestsellerliste und wird das wohl noch viele Wochen tun. Können also Millionen Leserinnen wirklich so irren? Haben Ildiko-von-Kürthy-Bücher nicht auch ihre Qualitäten? Oder ist das wie mit der Bild, deren Leser ja immer sagen: Ja, ich weiß, alles Schrott und Lüge, aber es unterhält gut?

Nach der Lektüre von „Blaue Wunder“ muss man sagen: Es ist Letzteres, abzüglich der Unterhaltung. Schon der Leadsatz ist großartig daneben: „Entweder mache ich mir Sorgen oder was zu essen.“ Spontane Einfälle dazu: Entweder ich nehme Koks oder zu. Entweder ich mache Ferien oder ins Bett. Oder, weiter im von-Kürthy-Text: „Ich betrachte wohlwollend meine Oberschenkel und die fremde Stadt, die mir zu Füßen liegt.“ Und später: „Keine Stadt noch meine Schenkel haben jemals besser ausgesehen.“ So bleibt ein Buch schon mal ungelesen. Liest man aber weiter, beginnt eine Art Geschichte, die von den Versuchen der 32-jährigen Reisekauffrau Elisabeth Dückers handelt, ihren Exlover Martin wiederzubekommen. Der hatte ihr in den vier Wochen ihrer Beziehung nicht gesagt, dass er eine Verlobte hat. Im Folgenden macht sich Elisabeth, unterstützt von ihrem schwulen Mitbewohner Erdal, an die Arbeit: Feindbeobachtung, Jogging, Stripkurse, Gewichtsreduzierung, Schönheitsreparaturen. „Runter mit den Kilos!“, rät Petra, die beste Freundin. „Und falls du aufgehört hast, dir die Beine und die Bikini-Zone zu rasieren, oder falls du dich nicht mehr schminkst und deine Haare nur noch wäschst, wenn sie anfangen zu stinken: Dann reiß dich zusammen! Zieh dich ordentlich an, mach dich zurecht, zupf dir die Augenbrauen.“

So in der Art. Doch müssen dem eben Millionen Leserinnen, vielleicht auch ein paar Leser, etwas abgewinnen können. Vielleicht weil sie glauben: Die Elisabeth ist eine von uns. Die weiß, dass sie nie an Julia Roberts heranreicht und das mit dem Model-Ideal überhaupt ein Schmu ist. Und selbstironisch ist sie ja auch, etwa wenn sie sich über ihren Busen („Na ja, kein wirklicher Abräumer“) und Po, über ihre Beine („Könnten okay sein, wenn jedes von ihnen etwa drei Kilo weniger wiegen würde“) und Haare auslässt.

Nun mögen sich vor allem Männer über das Selbstwertgefühl von Frauen sorgen, die das lesen, gar einen Rückfall in voremanzipatorische Zeitalter beklagen oder auch wider besseres Wissen davon künden, dass „die Emanzipation der Frau nun mal den Tod solcher Brunftschmarrn“ bedeute (Denis Scheck). Doch „Blaue Wunder“ hat auch was Subversives, pinkelt es doch in das Nest, dem es entstammt: den Frauenzeitschriften. Seitenweise lässt sich Elisabeth darüber aus, wie schwer sie sich damit tut, das „Brigitte Extra“-Heft „Schminken leicht gemacht“ zu verstehen oder ihr die Sex-Ratgeber Minderwertigkeitskomplexe bereiten. Wenn das keine Kulturkritik ist! Wenn sich da nicht alle Hamburgerinnen und Nürnbergerinnen, die nicht aussehen wie Julia Roberts und nicht so viele Stellungen kennen wie Teresa Orlowski, auf der Stelle wiedererkennen! Dass das alles sturzlangweilig ist, schlecht geschrieben, der allerletzte Dreck usw., steht auf einem anderen Blatt.

Bleibt nur noch die Anerkennung für Ildikó von Kürthy, so ausdauernd diese Bücher zu schreiben, sich trotzdem nicht zu langweilen und dabei noch ganz sie selbst zu bleiben. ALEXANDER LEOPOLD

Ildikó von Kürthy: „Blaue Wunder“. Wunderlich, Reinbek bei Hamburg 2004, 252 Seiten, 17,90 Euro