Bonner entdecken ihren Venusberg wieder

Auf dem Hausberg der Stadt nutzen die Uni-Kliniken eine ehemalige NS-Kaserne. „StattReisen“ will die Geschichte des Geländes aufbereiten

„Wie gehen wir mit ehemaligemNazibesitz um?Wofür kann so ein Denkmal stehen?“

Von Martin Ochmann

Und das soll ein lohnendes Reiseziel sein? Eine ehemalige Kaserne, deren triste Architektur genauso uniform ist wie die Arbeitskleidung ihrer Insassen? „Na klar, das versuchen wir ja gerade seit Jahren zu wiederlegen, dass nur die bekannten Objekte interessant sind. Gerade die unspektakulären Sachen sind die spannenden“, entgegnet Norbert Volpert vom Reiseveranstalter „StattReisen“ auf die etwas provokant geäußerten Zweifel.

Der Bonner Verein organisiert seit nunmehr 15 Jahren Führungen und Touren, die ein handelsüblicher Reiseführer wahrscheinlich mit der Floskel „abseits der üblichen Touristenpfade“ anpreisen würde. Vielleicht wird das mittlerweile schon recht üppige StattReisen-Programm demnächst um ein Ausflugsziel reicher: den Bonner Venusberg.

Dieser Name ist zuerst einmal viel versprechend, doch die neu entdeckte Attraktion hat nichts mit der Göttin der Liebe zu tun, sondern sehr viel mehr mit dem Kriegsgott Mars. Eine ehemalige Flakkaserne der Wehrmacht haben neun angehende StadtführerInnen des Vereins im Rahmen eines Ausbildungsseminars neu entdeckt. Wo sich heute die Bonner Uni-Kliniken befinden, stand seit 1938 die „Göring-Kaserne“. 1936 besetzte die Wehrmacht rechtswidrig das linke Rheinufer, zehn Jahre, nachdem die französischen Truppen sich zurückgezogen hatten. Innerhalb von zwei Jahren wurde die Kaserne aus dem Boden gestampft. Ein großer Teil der Gebäude wird heute noch von den Medizinern genutzt.

Die ehemals militärische Nutzung des beliebten Ausflugsziels ist in Bonn nur wenigen bewusst, und auch die ortskundigen Seminarteilnehmer waren überrascht. Doch das ist Teil der Ausbildung, ein „bislang eher unbekanntes Terrain als Übungsfeld zu untersuchen“, so der Kursleiter Volpert.

StattReisen musste einige Arbeit leisten, um gegen die Verdrängung der Nazi-Geschichte des Venusbergs anzukommen. Dabei arbeitete der Verein mit dem Stadtarchiv, dem Reservistenverband und der Universität zusammen. Auf historische Dokumente ließ sich jedoch kaum zurückgreifen, Veröffentlichungen zum Thema gibt es nicht. Auch Augenzeugen standen nicht zur Verfügung. „Noch nicht einmal der Denkmalschutz konnte uns weiter helfen, obwohl die häufig sehr genaue historische Beschreibungen liefern“, berichtet Volpert. Der Bonn-Experte erklärte sich diese Lücke und die relative Unbekanntheit mit der „spezifischen Nutzung“ des Areals. Gerade bei Objekten wie dieser Kaserne stellt sich laut Volpert immer die Frage: „Wie geht man mit dem ehemaligen Nazibesitz um? Und wofür kann so was schon als Denkmal stehen?“

Das Unwissen über die Vergangenheit des Bonner „Hausbergs“ im Süden der Stadt ist natürlich auch auf die Tatsache zurück zu führen, dass die Kaserne ihr Gesicht verändert hat. „Wer die Geschichte nicht kennt, der entdeckt da auch nichts“, ist Volpert überzeugt. Zumal auch geschickte Kosmetikarbeit geleistet wurde. Das skurrilste Beispiel ist die heutige Kapelle. Sie liegt mitten im weitläufigen Campusgelände und ist eher unverdächtig. Wird man indes mit der Nase darauf gestoßen, entdeckt man, dass anstelle des Glasfenster an der Kopfseite ehemals eine Toreinfahrt war. Die Recherchen der künftigen „Stattführer“ ergaben, dass sich hier zu Kasernenzeiten links und rechts die Schuppen mit mobilen Flakgeschützen anschlossen. Ein weiteres Geschütz stand auf dem Flakturm, der heute Platz für die Verwaltung bietet. Außerdem entdeckten die Teilnehmer die Unterkünfte der Militärs, den Arrestbereich und, ungleich schöner im Grünen gelegen, das Offizierskasino. Über dem heutigen Nordportal findet man noch die Dübellöcher der Metallstifte, die seinerzeit die Buchstaben „Göring-Kaserne“ trugen.

„Wer mehr sehen will, kommt zu uns“, meint Volpert verschmitzt. Er findet die „Spurensuche vor Ort“ spannender, als die „großen Objekte, die man auf einen Blick erfasst hat“. Die Touren seines Vereins richten sich an Menschen, die sich „mehr für Geschichte interessieren“.

Ob der bisher nur als Ausbildungsgelände begangene Venusberg auch ins Programmheft der StattReisen aufgenommen wird, steht bislang noch nicht fest. Anlässlich des 60. Jahrestages der Einnahme Bonns durch die Alliierten soll Anfang März jedoch mit einem öffentlichen Rundgang die Geschichte des heutigen Klinikgeländes einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.