kabinenpredigt
: Kiontke am Ball

Politik wird nicht nur von denen da oben gemacht. Sie kommt auch unten an. Der Begriff der Parallelgesellschaft, der das Scheitern des Versuchs beschreibt, all jene zu integrieren, die irgendwie nicht von hier kommen, ist ein Beispiel – ein noch besseres ist Fußball. Fußball hat per se was Exklusives – „elf Freunde sollt ihr sein“, gut und schön. Aber da sind immer noch ’ne Menge anderer Leute auf dem Platz. Zum Zeichen der integrativen Kraft des Sports gibt es Massenschlägereien: Wenn sich alle prügeln, ist jeder dabei.

Konstruktiv verwirrend geht meine Mannschaft damit um: „Die Taktiker“ – eine Ansammlung von westdeutschen Trinkern, westdeutschen Arbeitslosen, westdeutschen Ausländern und westdeutschen Ossis. Der Verein zog vergangenes Jahr ein in die DFB-Kreisliga – unter dem Stadiondach des SV Treptow 46. Drei Herrenmannschaften gab es, wir sind jetzt die vierte, helfen aber bei den anderen aus. Man könnte es auf die Formel bringen: Wessis spielen für Ossis gegen Türken und Glatzen.

Das ist mituntern für alle Beteiligten etwas verwirrend. Beim Spiel in Lübars wurden vereinseigene Glatzköppe als „Ausländerfreunde“ beschimpft. Beim Heimspiel gegen einen türkischstämmigen Club holte sich Verteidiger Bolten, geborener Emdener, vom Gegenspieler diese Denkwürdigkeit zur deutschen Einheit ab: „Jetzt macht ihr auf dicke Hose, aber vor fünfzehn Jahren hattet ihr nicht mal Bananen zu fressen.“

Auch vereinsintern geraten lieb gewonnene Einstellungen („Icke will ja ma nüscht sagen, aber mit die Auslända gibt’s imma Ärga“) ins Wanken. „Ick bin keen Türke, ick bin een Mensch“, bekundet Libero Özgür – optisch der Superlover aus Antalya, Vater aus der Türkei, Weddinger Staatsangehörigkeit. Sind Türken jetzt etwa keine Menschen? Und was kann man vom Leitkulturstandpunkt aus liefern? Mannschaftskapitän Schwador: „Mal sehen, was die Liga sagt, wenn wir uns als Schwule outen.“

In der Parallelgesellschaft verbergen sich Paralleluniversen. Vielleicht entdeckt mancher Raufbold ja homosexuelle Parallelen zum Gegenspieler – assoziatives Verknüpfen heißt die Lösung. Beispiele: Kopftuchstreit, Deutschkurspflicht, Rassismus. Ergebnis: Kopftuchpflicht für die Lübars-Glatzen.

JÜRGEN KIONTKE