: Federn lassen
Die neue Staffel des Kleinen Fernsehspiels sucht nach Heimat und Identität („Folge der Feder“, ZDF, 0.15 Uhr)
Bei vier der fünf ausgewählten Werke tragen Darsteller oder Regisseure Namen, deren Aussprache nicht so leicht über ungeübte deutsche Lippen geht. Der Schluss, die Inhalte könnten sich also vor allem um die Frage von Heimat und Identität drehen, trifft: „Auf der Suche nach“, die erste Filmreihe des ZDF-Kleinen Fernsehspiels 2005, zeigt vor allem Menschen, die Verankerung suchen. Nach der Stelle, an dem ihr Anker einst eingegraben war, um bei Ortsbegehung zu verstehen, wieso er sich lösen konnte oder musste.
„Folge der Feder“ von Nuray Sahin ist so ein Film. Seine Protagonistin Helin (Pegah Ferydoni) ist 23 Jahre alt, als sie nach Berlin kommt. Bisher hatte sie mit ihrem Vater in Ostanatolien gelebt. Jetzt sucht sie die Nähe ihrer Mutter, die vor vielen Jahren zusammen mit der älteren Schwester die Familie Richtung Deutschland verließ. Tief verschleiert trifft Helin in Berlin ein, eine weiße Feder, wie es ihr Vater prophezeit hatte, in der Hand. Ihr Weg führt direkt in die erdrückenden Arme des Mannes, der viel Geld bezahlt hat, um sie heiraten zu können.
Das deutsche, engagierte Auge sieht zunächst seine Vorstellungen von der Rückschrittstürkei bestätigt, doch dann gelingt der jungen Frau die Flucht vor Mann und Ehe. Passendes Thema, denkt das informierte Gutmenschenhirn, ist doch derzeit viel über Zwangsehen, Flucht und Ehrenmorde zu lesen, wird der EU-Beitritt der Türkei breit diskutiert. Doch dann, nach all der scheinbaren Vorhersehbarkeit, ist das zentrale Thema – neben allen sehr wohl verhandelten Fragen nach Herkunft, Heimat und Zugehörigkeit – ein ganz anderes. Ein grenzenloses. Ein weniger kulturell bedingtes, dafür aber umso intensiveres: Warum, Mama, hast du mich verlassen? Wie konntest du mit meiner Schwester weggehen und mich zurücklassen? Die Protagonistin ist ihrer Feder gefolgt, bis nach Berlin, und sie stellt die Frage wieder und wieder. Sie wird an dieser Frage ebenso wachsen wie an ihrer Mutter. Sie wird sich an deren westlicher Abgeklärtheit reiben und eine ganz eigene Position zwischen den emanzipierten Frauen ihrer Familie und ihrer inneren Bindung an die Heimat finden.
Für die in Anatolien aufgewachsene 30-jährige Nuray Sahin ist „Folge der Feder“ der Film, mit dem sie ihr Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie abschließt. Für den Betrachter bleibt bei aller Freude über das gute Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass auch engagierte Filmemacherinnen, die Konfrontation aushalten, kein besseres Glücksmodell für Frauen parat haben, als dass alles gut ist, wenn Mr. Right endlich auf der Bildfläche erschienen ist.SILKE BURMESTER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen