Nebensachen aus istanbul
: Neue Türkische Lira symbolisiert Nähe zu Europa und hat prompt sechs Nullen weniger

So schnell hatten selbst die größten Optimisten nicht damit gerechnet, dass die Türkei es schafft, an die EU aufzuschließen. Kaum hat der Gipfel in Brüssel beschlossen, im Oktober dieses Jahres die Beitrittsverhandlungen zu beginnen, haben die Türken auch schon den Euro in der Hand. „Sieht doch gut aus“ , meint der Lebensmittelhändler im Laden an der Ecke und gibt statt der gewohnten labberigen Millionenscheine stolz drei Münzen heraus, die ohne weiteres als Ein-Euro-Münzen durchgehen könnten. Doch wie die gesamte EU-Perspektive, so ist auch hierbei ein Haken an der Sache: Die Münze sieht zwar aus wie ein Euro, ist aber eine Lira. Der Wert der neuen Lira beträgt immerhin 55 Cent und unterscheidet sich damit deutlich von dem Inflationsgeld vergangener Jahre.

Mit Jahresbeginn erlebte die Türkei eine Währungsreform, die psychologisch geschickt platziert für jeden Einwohner des Landes deutlich macht, dass neue Zeiten angebrochen sind. Zwar hat durch die Währungsreform niemand mehr Geld in der Tasche – manche fürchten gar, Preise würden aufgerundet – doch hatten alle gleich ein besseres Gefühl. Das Geld ist wenigstens wieder etwas wert. Nach einer Woche in der Praxis haben sich auch die kleinen Anfangsirritationen gelegt. Viele Türken waren das Kleingeld einfach nicht mehr gewohnt. Plötzlich gibt es nach mehr als 20 Jahren wieder einen Kurus, also Münzen, die weniger Wert sind als eine Lira. Bis zur Währungsreform war die kleinste Münze 100.000 Lira, woraus zehn Kurus wurden, aber es gibt auch Münzen zu fünf und einem Kurus. Entsprechend mussten die Preise neu ausgezeichnet werden. Vor allem fliegende Händler, die in kleiner Münze rechnen müssen, hatten damit zunächst Probleme. Wiederholt standen schimpfende Menschen vor den begehrten Sesamkringeln. Doch nicht nur die Kleinhändler hatten Probleme, auch die Banken sind bislang nicht auf der Höhe der Zeit. Zwar waren alle ganz stolz, dass die Umstellung in der Neujahrsnacht reibungslos klappte und man noch in den Morgenstunden des 1. Januar an den Bankautomaten neues Geld ziehen konnte, doch diese Errungenschaft ist immer noch ein nur eingeschränktes Vergnügen.

Das Problem mit den Millionen war immer, dass sie einem den Geldbeutel verstopften. Zwar hatte die Türkei mit dem 20-Millionen-Schein den höchsten Geldschein weltweit, doch damit kam man nicht weit, weil die 20 Millionen nur 12 Euro wert waren. Für größere Einkäufe in bar musste man mit dem Koffer zum Laden. Jetzt gibt es 50- und 100-Lira-Scheine, doch kein Bankautomat spukt diese Scheine aus. Für die Einführung der neuen Währung haben Banken wie Sesamkringelhändler ein Jahr Zeit. Bis dahin wird Alt und Neu nebeneinander existieren.

Jetzt hoffen alle, dass es mit den Versprechungen der EU auch so schnell geht wie mit dem neuen Geld. Neue Jobs zum Beispiel wären nicht schlecht oder neue Wohnungen und neue Autos. Der Sinn des neuen Gelds und der neuen EU-Perspektive ist doch schließlich, dass man sich endlich was Neues kaufen kann.

JÜRGEN GOTTSCHLICH