„Viel war falsch, viel kriminell“

„Ich habe nichtsvon dem, was ichdort getan habe, gern getan“Die Frage, was Vorgesetzte befohlen haben, blieb im Prozess ungeklärt

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Am Ende wurde er gefragt, warum er auf den Fotos hinter nackten Menschenpyramiden gegrinst habe. „Ich lächle auch jetzt, doch es ist ein nervöses Lächeln“, antwortete der Stabsgefreite Charles Graner, bevor er von einem Militärgericht in Texas wegen physischer, psychischer und sexueller Misshandlung von Häftlingen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Geschworenen befanden ihn in fast allen Anklagepunkten der Misshandlung, schweren Körperverletzung, Verschwörung und sexuellen Nötigung für schuldig. Graner wird überdies zum einfachen Soldaten degradiert, unehrenhaft aus der Armee entlassen und verliert alle Ansprüche auf finanzielle Versorgung. Der Militärstaatsanwalt hatte für Graner die Höchststrafe von 15 Jahren Haft gefordert.

Im Zusammenhang mit dem Folterskandal von Abu Ghraib sind im vergangenen Sommer bereits vier Soldaten von einem Militärgericht in Bagdad zu Haftstrafen zwischen 8 Monaten und 8 Jahren verurteilt worden. Zwei weitere Soldaten müssen sich noch wegen ähnlicher Vorwürfe wie Graner vor einem Militärgericht verantworten, darunter diese Woche Lynndie England. Sie erlangte insbesondere durch das Bild, auf dem sie einen nackten Gefangenen an einer Hundeleine hält, traurige Berühmtheit.

Der 36-jährige Graner äußerste sich am Tag der Urteilsverkündung erstmals öffentlich zur den Anschuldigungen. Er räumte ein, falsch gehandelt zu haben. Zu Beginn seiner Arbeit in Abu Ghraib habe er sich geweigert, die Inhaftierten auf „regelwidrige“ Weise zu behandeln, gab er zu Protokoll. Er sei jedoch daraufhin angewiesen worden, den Befehlen des Militärgeheimdienstes zu folgen. Wiederholt will er sich bei Vorgesetzten beschwert haben, sei aber aufgefordert worden, mit der groben Behandlung der Häftlinge fortzufahren. „Ich habe nichts von dem, was ich dort getan habe, gern getan. Vieles davon war falsch, vieles war kriminell“, sagte Graner.

Eine Woche lang dauerte der Prozess auf dem texanischen Militärstützpunkt Fort Hood. Ehemalige Gefangene und Militärpolizisten sagten als Zeugen aus. Sie beschrieben detailliert Misshandlungen, sexuelle Erniedrigung und entwürdigendes Verhalten. Doch zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit es Befehle von vorgesetzten Offizieren gegeben habe, machten sie widersprüchliche Angaben. Einer sagte aus, die Soldaten sollten „den Willen der Gefangenen brechen“. Andere konnten sich jedoch nicht daran erinnern, direkte Anweisungen zu den Missetaten gehört zu haben.

Den Anklägern gelang es, Graner als Rädelsführer zu porträtieren, einen Mann, der allein aus sadistischen Motiven, zum Spass oder „aus Sport“ gehandelt habe. US-Regierung und Pentagon können daher zufrieden sein mit dem Prozessverlauf und dem Urteilsspruch, bestätigen sie doch ihre Auffassung, dass es sich bei Graner & Co. nur um einige fehlgeleitete Übeltäter handelt.

Graner selbst und sein Verteidiger hatten hingegen stets argumentiert, lediglich Befehle ausgeführt zu haben, um Häftlinge für Verhöre „weich zu klopfen“. Zudem sei er von vorgesetzten Offizieren und Geheimdienstmitarbeitern ermutigt worden, mit den „Behandlungsmethoden“ fortzufahren. Einige Zeugenaussagen im Verfahren legen nahe, dass Offiziere über die Vorgänge im berüchtigten Zellenblock „One Alpha“ im Bilde waren. Der Name von einem Leutnant Steven Jordan wird genannt. Er soll Graner im November 2003 gelobt haben, nachdem viele der Misshandlungen bereits stattgefunden hatten, dass er „gute Arbeit leiste“. Der Vorsitzende Richter weigerte sich jedoch, diesen und weitere Zeugen vorzuladen, die Auskunft darüber hätten geben können, welche Vorgesetzten von den Ereignissen wussten. Trotz des Drängens der Verteidigung wurde auch niemand der höheren Dienstränge in der Befehlskette als Zeuge während des Prozesses gehört. Bislang wurde auch gegen keinen Offizier Anklage erhoben.

Dabei belegen insgesamt acht Ermittlungen des Pentagon oder von ihm beauftragter Untersuchungskommissionen ein deutliches Versagen der Führungsstruktur im Gefängnis. Sie kommen zu dem Schluss, dass vorgesetzte Offiziere versäumt haben, ihnen unterstellte Soldaten zu beaufsichtigen, anzuleiten und entsprechend auszubilden. Auch ignorierten sie Anzeichen von Missbrauch. Ein Report resümierte, die Vorgesetzten seien für die Misshandlungen „mit verantwortlich“, wenn auch nicht „strafbar“, da sie nicht direkt Ausübende waren.

Kritiker geben sich daher mit den bisherigen Prozessverläufen und Urteilssprüchen nicht zufrieden. Nach Ansicht von Menschenrechtlern tragen die Verfahren nicht den zugrunde liegenden politischen Entscheidungen und Signalen Rechnung. Für sie führt die Spur am Ende auch ins Weiße Haus und Pentagon, wo durch Stellungnahmen und Richtlinien, die besonders harte Verhörtechniken genehmigen, Folter neu definieren und die Genfer Gefangenenkonvention für veraltet erklären, erst das politische Klima für Misshandlungen geschaffen wurde.

Da die Regierung sozusagen befangen ist, fordert „Human Rights Watch“ einen unabhängigen Sonderermittler, der gegen US-Beamte und -Offiziere in Sachen Menschenrechtsverletzungen ermitteln soll. Denn Foltervorwürfe beschränken sich längst nicht mehr nur auf Abu Ghraib, sondern betreffen auch die Internierungslager in Guantánamo und Afghanistan. Die Organisation wirft der Bush-Regierung vor, eine der wichtigsten Grundlagen internationaler Menschenrechtsstandards, dass ein Staat Gefangene unter keinen Umständen, auch nicht angesichts einer ernsthaften Bedrohung, foltern oder misshandeln darf, ausgehöhlt zu haben.

Wie die Geisteshaltung im Bush-Kabinett zum Thema Folter offenbar aussieht, demonstrierte just an dem Tag, als Graner für schuldig befunden wurde, Tom Ridge, der scheidende Minister für Heimatschutz in einem Akt beispielloser politischer Unsensibilität. In einem BBC-Interview am Freitag sagte er, Folter könne unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein.

Der Minister ist offenbar nicht einmal mit den Erfahrungen seiner eigenen Terrorexperten vertraut. Übereinstimmend sind sie der Auffassung, dass Folter oder ihre Androhung kontraproduktiv ist. Unter der Schlagzeile „Der Folter-Mythos“ rechnete Anne Applebaum jüngst in der Washington Post mit der in den Vereinigten Staaten populärer werdenden Vorstellung ab, das Folter rettende Informationen liefern könnte. „Es gibt keinen erfahrenen Verhörspezialisten, der glaubt, Folter ist eine kluger Weg, um Informationen zu erhalten. Der Imageschaden macht zudem jeden noch so geringen Verhörerfolg zunichte.“