Ballerboden wird Naturparadies

Der Nationalpark Senne ist in Ostwestfalen umstritten. Landesregierung fördert das Naturprojekt. Das britische Militär fürchtet um Übungsplätze, FDP und CDU um finanzielle Verluste

VON HUBERTUS GÄRTNER

Die Natur ist geduldig. Deshalb hat der Senne die Ballerei auf ihrem Truppenübungsplatz nichts anhaben können. Der Landschaftsraum Senne liegt in Ostwestfalen zwischen den Städten Bielefeld, Detmold, Gütersloh und Paderborn. Kernstück ist ein 11.000 Hektar großer Truppenübungsplatz. Kaiserliche Soldaten wurden auf dem sandigen Boden schon gedrillt und auch Hitlers Wehrmacht hatte sich hier auf den Weltkrieg eingeschossen. Nach dessen Ende übernahmen die Briten das Kommando. Gerade durch die Nutzung als militärisches Übungsgelände blieben viele Elemente der alten Naturlandschaft, insbesondere Heide- und Magerrasenflächen aber auch Moore, Fließgewässer, Buchen- und Eichenwälder in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Mit mehr als 900 gefährdeten Tier- Pilz- und Pflanzenarten ist die Senne nach einem Gutachten der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten (LÖBF) heute das für den Naturschutz bedeutsamste Gebiet in Nordrhein-Westfalen.

Bereits im Mai 1991 hatte sich der Düsseldorfer Landtag dafür ausgesprochen, hier einen Nationalpark zu errichten. Damals wurde die Verwirklichung der Idee auf die Zeit „nach einer militärischen Nutzung“ verschoben. Seit November 2004 wird mit einem Landtagsbeschluss nun jedoch die Ausweisung eines Nationalparks Senne bei „gleichzeitiger militärischer Nutzung“ angestrebt.

Vor allem Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) macht mächtig Druck. Höhn und ihr Staatssekretär Thomas Griese verweisen gerne auf den Nationalpark Eifel, der seit einem Jahr existiert und bereits große wirtschaftliche Impulse für die dortige Region gebracht habe.

Doch so einfach liegen die Dinge in der Senne nicht. Zwar hatte sich vor einigen Jahren eine große Mehrheit der Menschen in den Anrainergemeinden für einen Nationalpark ausgesprochen. Nun aber macht die in Ostwestfalen-Lippe dominante CDU gegen das Projekt mobil. „Jeder ist für die Natur, aber ich frage mich, was das Ganze eigentlich soll“, sagt der CDU-Bezirksvorsitzende Elmar Brok. Er sieht vor allem die Gefahr, dass die Briten wegen der Nationalpark-Debatte schon bald „die Lust verlieren“ könnten und abziehen. Dann werde die Region Ostwestfalen-Lippe „um 500 Millionen Euro Wertschöpfung pro Jahr betrogen“, fürchtet Brok. Auch seine FDP-Kollegin Gudrun Kopp stößt kräftig ins Horn. Die Düsseldorfer Landesregierung betreibe in Sachen Nationalpark Senne eine „Politik der Irritationen“, findet sie. Das militärische „Üben im Sand“ werde für zukünftige internationale Optionen „immer wichtiger“, sagte Kopp.

SPD-Vertreter, Grüne sowie der Staatssekretär Griese beeilten sich derweil festzustellen, dass „niemand das Militär vertreiben“ wolle. Auch bei einer Ausweisung des Truppenübungsplatzes Senne als Nationalpark würden die Briten dort immer noch „das alleinige Sagen“ behalten. Dieses werde man ihnen vertraglich „garantieren“, sagte der Staatssekretär.

Die Befürworter eines Nationalparks Senne sehen eine „große Chance“. Sie möchten die wirtschaftlichen Vorteile eines britischen Truppenstandortes erhalten und die Natur dauerhaft schützen. Gleichzeitig wollen sie auch noch den Nationalparktourismus fördern und die regionale Entwicklung ankurbeln. Die britischen Militärs scheinen vor allem den Tourismus zu fürchten. Wenn die Briten in der Senne weiter scharf schießen, kann es für große Besucherströme dort gefährlich werden. Rad- oder Wandertouristen müssten auf die Feuerpausen verwiesen werden.

Um dieser sich abzeichnenden Bredouille zu entgehen, hat das NRW-Umweltministerium jetzt vorgeschlagen, zusätzlich zum Truppenübungsplatz Senne noch 8.000 Hektar Staatswald im nahe gelegenen Eggegebirge als Nationalpark auszuweisen. Hier würde die Natur, die bereits heute zum großen Teil aus Buchenwäldern besteht, in Zukunft sich selbst überlassen. Touristen hätten in der Egge weder Blindgänger noch Maschinengewehrsalven zu fürchten. Das wäre für sie zweifellos von Vorteil, so das Ministerium.

Die Idee, auch Teile des Eggegebirges in einen Nationalpark zu integrieren, scheint auf den ersten Blick durchaus faszinierend. Trotzdem dürfte nun alles an den Briten hängen. Nur wenn sie zustimmen, den Truppenübungsplatz Senne bei weiterer militärischer Nutzung gleichzeitig als Nationalpark auszuweisen, hat das gesamte Projekt eine Chance. In diesem Fall würde allerdings auch der ostwestfälischen CDU und der FDP allmählich die Gegenargumente ausgehen.