berliner szenen Literatur in Jurten

Bellen unterm Ziegenfilz

Josty Bar, Sony Center. „Die Kekse hättet ihr sehen sollen, die der uns angeboten hat! Die würde ich nicht mal einem Hund vorsetzen“, schimpft Peter O. Chotjewitz, der sich gerade beim Sekt über einen dieser geizigen Verleger aufregt, die nie zahlen wollen. „Entlüften Sie mein Glas, aber bitte vollständig, mein Kind“, kommandiert der Siebzigjährige die Bedienung heran, indem er mit dem Silberknauf seines Spazierstocks fuchtelt. Es ist der Eröffnungsempfang des vierten Berliner Wintersalons, der an vier Tagen mit 100 Lesungen und 30 Autoren aufwartet. Unter dem großen Zelt am Potsdamer Platz darf man sich also wieder in kleinen mongolischen Zelten, also Jurten, zusammenpferchen, um dort bekannten AutorInnen zu begegnen.

„Herr Chotjewitz, ich möchte Sie Ulrich Plenzdorf vorstellen!“, freut sich die Organisatorin Britta Gansebohm, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Leute für Literatur zu interessieren oder solche zusammenzubringen, die selber welche produzieren. „Stehen zwei Männer beim Bier am Tresen“, erzählt Chotjewitz seinem entgeisterten Kollegen, „sagt der eine zum anderen: Wir müssen uns unbedingt mal auf ein Bier treffen!“ Doch Plenzdorf versteht nur Bahnhof.

Das kann einem später in den Jurten auch schon mal passieren. Wie ein tosender Wasserfall begleitet der Stadtverkehr die Lesenden im ziegenfilzmuffigen Zelt; Mikro-Gemurmel aus den Nachbarjurten, verspätete italienische Touristen rütteln an der Pforte. Matthias Penzel, der mit Ambros Waibel aus seiner Jörg-Fauser-Biografie liest, begegnet der Situation mit Bellen.

Schön war’s trotzdem irgendwie. Und fast schon eine theatrale Allegorie auf die Situation der Literatur im Zeitalter ihres Verschwindens. JAN SÜSELBECK