praxisgebühr
: Zwangsabgabe macht Berlin krank

Wer in einer Großstadt lebt, zum Beispiel in Berlin, wird schneller krank. Wegen der Luftverschmutzung, des Lärms, der hohen Arbeitslosigkeit. Auch wer arm ist, wird schneller krank. Weil er ungesünder isst, öfter raucht, schlechtere Jobs hat. Die Praxisgebühr, seit einem Jahr muss sie gezahlt werden, haut in genau diese beiden Kerben. In Berlin sank die Zahl der Behandlungsfälle seit Januar 2004, dem Starttermin der Zwangsabgabe, deutlich. Die Menschen in der Stadt gehen seltener zum Arzt, vor allem die sozial Schwachen unter ihnen.

KOMMENTAR VON JULIANE GRINGER

Über eine halbe Million Berliner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Jeder sechste Einwohner muss mit weniger als 600 Euro im Monat auskommen. Da sind 10 Euro viel Geld. Doch ohne Gebühr gibt es keine Behandlung. Die Patienten gehen also lieber nicht zum Arzt. Auch wenn ein Praxisbesuch notwendig sein sollte, sparen sie ihn sich, solange es geht. Erst wenn das Fieber brennt, die Hustenkrämpfe nicht mehr zu stoppen oder die Schmerzen nicht mehr zu stillen sind, lassen sie sich behandeln. Dann sind nicht nur mitunter teurere Medikamente nötig, und ist die Behandlung selbst langwieriger. Krankheiten, die man verschleppt, können auch schnell chronisch werden. Und das wird am Ende wieder deutlich teurer. Für Berlin, das belegen seine Strukturdaten, bedeutet es: In der Stadt wird es in Zukunft noch mehr Alte, Arbeitslose, Arme und Kranke geben.

Insbesondere die Praxisgebühr zeigt, dass die Gesundheitsreform auf Kosten der Schwachen geht. Die Kassen sind schließlich nicht bereit, ihre Beiträge zu reduzieren. Doch die Menschen, die von der Wirtschaftskrise schon genug gebeutelt sind, sollte das nicht auch noch ihre Gesundheit kosten.

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