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: Loyalität ist ein schöner Traum

Die Nachwuchsförderung der Berliner Klubs Alba und Eisbären gilt als vorbildlich, die Früchte der Arbeit ernten oft andere

Der Basketballtrainer Svetislav Pesic hatte einmal eine Vision. Seine Mannschaft sollte nicht nur ein zusammengewürfelter Haufen begabter Spieler sein, der Matches gewinnt und Titel sammelt, sondern eine eigene Identität besitzen. Alba Berlin müsse mehr sein als ein Basketballklub. Die Profis sollten sich mit dem Verein und der Stadt identifizieren, umgekehrt, die Fans mit dem Verein. Durch intensive Nachwuchsarbeit sollten stetig junge Talente an die Mannschaft herangeführt werden und dort wenigstens ein paar Jahre bleiben, bis sie sich neuen Zielen zuwandten. Kontinuität, Loyalität, Identifikation wären die soliden Pfeiler, auf denen Alba Berlin ruhen würde. „Unser Ziel ist, dass die Spieler sehen, dass dies ihr eigener Verein ist“, sagte Pesic damals der taz. Auf seine Initiative hin gründete der Klub sogar eine Basketball-Akademie, zwecks Ausbildung von Talenten aus ganz Europa.

Die Basketball-Akademie nahm tatsächlich ihren Betrieb auf, doch das Konzept von Svetislav Pesic ist längst an den Realitäten des Profigeschäfts gescheitert. Das geschah bereits, als er selbst noch Trainer der Berliner war, besonders augenfällig wurde es aber in diesen Tagen, als Alba nach dem Erstrundenaus im Uleb-Cup mit Emir Mutapcic erstmals einen Trainer mitten in der Saison entließ. Der Bosnier war der dritte Coach der Berliner seit 1991, sein Rauswurf stellt eine deutliche Zäsur in ihrer Geschichte dar, den Bruch mit dem Mythos vom „anderen Klub“.

Ein Blick auf das aktuelle Alba-Team, das letzte Woche in der ersten Runde aus dem Uleb-Cup ausschied, zeigt, wie weit es mit der Pesic-Vision gekommen ist. Aus der eigenen, gerühmten Nachwuchsarbeit in Kooperation mit dem Farmteam TuS Lichterfelde kommen lediglich die Nationalspieler Stefano Garris und Mithat Demirel, der nach einer Gesellenzeit in der Fremde zurückgekehrt war, sowie Guido Grünheid, der kaum spielt. Ansonsten setzt Alba inzwischen wie jeder andere Bundesligist darauf, vor jeder Saison den europäischen Markt abzugrasen, und dann zu hoffen, dass die Mischung passt.

Das ist keineswegs böser Wille, wie manche Kommentatoren suggerieren, sondern es bleibt dem Klub nichts anderes übrig. Schon Pesic musste erleben, wie Leute, die er langfristig als feste Größen eingeplant hatte, den Verlockungen des internationalen Marktes erlagen und „ihren“ Verein schnöde für ein paar Dollar mehr verließen. Erst ging Spielmacher Sasa Obradovic, dann trotz gültigen Vertrages sein Nachfolger Wassili Karassew. Die Center Hupmann und Femerling suchten ebenso das Weite wie Ademola Okulaja oder später die jungen Talente Misan Nikagbatse und Jan Jagla, die ihre Ausbildung praktisch abbrachen, nicht unbedingt zu ihrem basketballerischen Vorteil. Diejenigen, die blieben, erwiesen sich meist als nicht gut genug für die hohen Ansprüche des Hauptstadt-Klubs und spielen inzwischen bei anderen Bundesligisten eher untergeordnete Rollen.

Nachwuchsarbeit ist ungeheuer wichtig für den deutschen Profisport, da sind sich alle einig. Die Frage ist jedoch, warum Vereine diese leisten sollen, wenn ihnen die besten Produkte dieser Anstrengungen verloren gehen, sobald sie gut genug geworden sind, um das Interesse finanzkräftiger Konkurrenten zu wecken. Im Fußball gibt es nach der Transferreform in solchen Fällen wenigstens Ausbildungsentschädigungen, in anderen Sportarten ist das nicht der Fall.

Dass es illusorisch ist, auf Loyalität und Identifikation zu hoffen, erfahren gerade in einer besonders pikanten Affäre die Berliner Eisbären. In der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ist Nachwuchsarbeit eine Bedingung für die Teilnahme, und die Berliner aus dem Wellblechpalast gelten in dieser Hinsicht als vorbildlich. Umso größer ist das Bedauern darüber, dass sich der als großes Talent gehandelte Nationalspieler Alexander Barta, der als Neunjähriger zu den Eisbären kam, jetzt für viel Geld von den Hamburg Freezers zum Unterschreiben eines Dreijahresvertrages bewegen ließ. Der 22-Jährige ist ablösefrei. „Wir haben viele Talente im Club und werden nicht alle halten können“, demonstrierte Berlins Coach Pierre Pagé zwar Gelassenheit, der Ärger ist dennoch groß in Hohenschönhausen. Für Unmut sorgt vor allem, dass die Freezers das einzige DEL-Team sind, dass keine Nachwuchsarbeit betreibt – und zwar dank der Eisbären. Weil die Hamburger demselben Konzern, jenem des US-Milliardärs Philipp F. Anschutz, gehören, reklamieren sie einfach die Jugendförderung der Berliner für sich.

Das brachte sogar Greg Poss auf die Palme, den Coach der Nürnberg Ice Tigers, dessen Interesse am Nachwuchs gewaltig gestiegen ist, seit er auch als Bundestrainer fungiert. Wenn alle Vereine sich derart umfangreich um den Nachwuchs kümmern würden wie die Eisbären, hätte Deutschland bald eine starke Nationalmannschaft, sagt Poss und fordert eine Ausbildungsentschädigung wie im Fußball. „Es ist nicht fair“, wettert der Bundestrainer Richtung Hamburg, „wenn ein Klub, der sehr viel in den Nachwuchs investiert, seine Spieler verliert, weil ein anderer, der keine Nachwuchsarbeit leistet, mehr Geld bietet und damit billig zu Spielern kommt“. Svetislav Pesic hätte es nicht schöner sagen können. MATTI LIESKE