Sterben ist nicht immer eine ruhige Angelegenheit

Hauptdarsteller eines Kinospots, in dem es um Sterbende gehen soll, sind Kleinkinder und ein Kabarettist. Da geht es bei den Dreharbeiten zwangsläufig nicht ruhig und besinnlich zu. Soll es nach Auffassung der Kölner Produktionsfirma auch nicht. Ziel ist es, junge Kinogänger anzusprechen und sie dazu zu bringen, sich für die Hospizarbeit zu engagieren

Köln taz ■ Vielleicht ist das Bett ja gar kein Bett, sondern ein Trampolin. Emelie kann auf der gelben Matratze jedenfalls nicht landen, ohne im gleichen Augenblick wieder abzuspringen. Wie eine Feder schnellen ihre Beine in die Höhe. Das Bett ist ihr Sprungbrett, nicht Ruhestätte.

Hagen Rether hat seinen Text einwandfrei aufgesagt, leider kann man auf der Aufzeichnung sein Gesicht weder bei den Worten „Das Leben meistern wir“ noch „Den Tod haben wir verdrängt“ sehen. Stattdessen hüpft Emelies blonder Schopf ins Bild. Die fliegenden Haare geben den Blick auf Rethers Gesicht erst zum Schlusssatz wieder frei: „Die Zeit dazwischen kann lang werden.“

Der kleinen Julika auf dem Arm des Kabarettisten ist der Schnuller abhanden gekommen, worüber sie sich lautstark beschwert. „Danke“, ruft Nicole Reinke-Torner belustigt, der Kameramann stoppt die Aufzeichnung, Rether zieht seine Nasenflügel nach unten und ruft gegen das Schreien der Viermonatigen: „Emelie hat, glaube ich, in die Hose gemacht.“

Kein pathetischer Spot

Der Kabarettist Hagen Rether, Emelie, die zweijährige Sportskanone, und Julika, das Baby, sind Darsteller eines Spendenaufrufs für den Arbeitskreis Hospize und Palliativstationen Köln (HAK) und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Die sprunghafte Emelie und auch Karla-Lotta, die in der vierten Klappe nicht zu sehen ist, weil sie sich gerade in einer Ecke des Zimmers, außerhalb der Kamerareichweite, hingebungsvoll mit einer Plastikgiraffe beschäftigt, machen mit bei einem Spot, in dem es um Sterbende geht. Sie sollen Kinogänger in ein paar Monaten dazu bringen, für die HAK zu spenden oder sich als ehrenamtliche Helfer in Hospizen zu engagieren.

Der Regisseurin Nicole Reinke-Torner ist klar, dass weder der Drehort, der Kindergarten „Brunnenkinder“, noch die Hauptdarsteller nach dem Thema Sterben aussehen. Einen pathetischen Spot mit gefalteten Händen in Großaufnahme und getragener Musik zu produzieren, lag der 33-Jährigen jedoch fern. „Unser Ansatz ist zeitgemäß. Wir wollen junge Menschen ansprechen“, sagt die Mitarbeiterin der Produktionsfirma open mind film, die den Spot zunächst vorfinanziert, bis die HAK genug Spenden gesammelt hat, um die Kosten selbst zu tragen. Sollte der Spot die Menschen polarisieren, so fände sie das gut. Schließlich gehöre der Tod ebenso zum Leben wie alles andere auch.

Julika versucht angestrengt, der Maskenbildnerin die Puderquaste abzuluchsen. Was nicht gelingt und sie hörbar zornig macht. „Soll ich sie beruhigen?“, fragt Sandra Latour, Julikas Mutter. Der Kameramann, der Mann für den Ton und der Kabelträger machen Platz auf der schmalen Treppe, die zum Drehort führt. Latour wiegt ihr Baby eine Weile und gibt es dann zurück auf die Arme des Kabarettisten.

Emelie hopst trotz voller Windel vergnügt vor der ganzen Szenerie auf und nieder. „Können wir?“ Reinke-Torner ist erstaunlich gelassen. Hier in den Räumen der „Brunnenkinder“ zwischen verstreutem Spielzeug, Kinderstühlen und angebissenen Kuchenstücken findet man die ungewöhnliche Herangehensweise Reinke-Torners gut. Britta Flemming, Emelies Mutter, ist der Meinung, dass Entstehung und Ende des Lebens ganz viel gemein hätten. Als sie vor ein paar Wochen mit Emelies kleinem Geschwisterkind in der Klinik war, habe sie dort viele Kinder gesehen, die im Sterben gelegen seien. „Jeder denkt: Kinder sind immer süß, essen immer Schokolade. Keiner denkt daran, dass Kinder auch sterben.“

Die Klappe knallt durch den Raum. Julika saugt mit geweiteten Augen an ihrem Schnuller, Karla-Lotta hat die Giraffe fallen lassen und blickt mit halb geöffnetem Mund in die Kamera. Emelie hüpft unverdrossen am Bildrand und Hagen Rether hat seinen Text fehlerfrei aufgesagt. Die Regisseurin lächelt: „Danke!“

Karneval am Sterbebett

Irmgard Henseler-Plum, Sozialarbeiterin im sozialen Dienst an der Universitätsklinik und der Polyklinik Palliativmedizin Mildred-Scheel Haus, freut sich, dass so viele Menschen ihr Anliegen unterstützen. Die Produktionsfirma legt Geld aus, Arri Köln stellte das Equipment zur Verfügung, Rether und die Kinder bekommen für ihren Auftritt kein Honorar. Die Idee, das Thema Sterben über eine alltägliche Familiensituation zu vermitteln, in der auch Kinder auftauchen, gefällt Henseler-Plum. „Sterben ist nicht unbedingt immer ruhig und sakral. Sterben heißt ja leben bis zuletzt“, sagt sie. Deshalb sterbe auch jeder in der Lautstärke, in der er gelebt habe. „Für manch karnevalsbegeisterten Sterbenden veranstalten wir in den letzten Tagen auch noch eine Karnevalssitzung zu Hause“, sagt Henseler-Plum.

Die Szene ist im Kasten. Julika spuckt den Schnuller aus dem Mund und prustet vor Vergnügen. Emelie hat eine frische Windel bekommen und ist auf das Trampolin zurückgekehrt. Sie zieht die Beine an und rudert mit beiden Armen. Still sitzen möchte die Zweijährige heute noch lange nicht. Schließlich holt sie gerade erst Schwung für ihren großen Sprung. Claudia Lehnen