Das Spiel steckt in ihm drin

DAS OPFER Die Spielsucht kostete Frank fast seine Familie und seine Firma. Im Café Beispiellos fand der 40-Jährige Rat und Hilfe – und ist heute ein „trockener Spieler“

■ In Berlin suchen heute fast doppelt so viele Menschen Hilfe gegen ihre Spielsucht als noch vor zehn Jahren. In die einzige Berliner Beratungsstelle in Kreuzberg kamen 2008 rund 550 neue Betroffene, sagt Diplom-Psychologe Andreas Koch. Im Jahr 1998 waren es noch rund 300 neue Spielsüchtige. 80 Prozent der Hilfesuchenden sind Männer.

■ In Berlin gibt es nach Schätzungen rund 17.000 Spielsüchtige. Bundesweit wird die Zahl der Glücksspielsüchtigen auf bis zu 0,5 Prozent der Bevölkerung geschätzt. Viele suchen erst nach vielen Jahren Hilfe. Seit 2001 ist Glücksspielsucht als Krankheit anerkannt.

■ Der Glücksspielstaatsvertrag, der vor einem Jahr in Kraft trat, gilt für Lotto und für Online-Wetten – aber eben nicht für Spielautomaten. Denn sie fallen unter das Gewerberecht und zählen als „Unterhaltungsgeräte mit Gewinnmöglichkeit“ offiziell nicht zum Glücksspiel. Es gibt deshalb auch kaum Auflagen wie Jugend- und Spielerschutz oder Prävention.

■ Der deutsche Glücksspielmarkt machte nach Berechnungen des „Jahrbuch Sucht“ im Jahr 2007 fast 28 Millarden Euro Umsatz, Tendenz steigend. Vier Milliarden Euro davon kassierte der Staat, heißt es bei der Caritas. Das seien mehr Einnahmen als durch Alkohol- oder Tabaksteuer. KÜP

VON KIRSTEN KÜPPERS

Frank ist an einem Tag im Juni vor zwei Jahren im „Café Beispiellos“ gelandet, einer Beratungsstelle der Caritas für Glücksspielabhängige in Kreuzberg. Das Leben des 40-Jährigen bot damals wenig Anlass zu Hoffnung. Seine Freundin war mit dem Kind abgehauen, Geld war keins mehr da, seine Firma für Finanzdienstleistungen lag ziemlich am Boden.

Inzwischen läuft der Betrieb wieder. Frank hat seit dem Tag vor zwei Jahren keine Spielbank mehr betreten. Und die Mitarbeiter vom Café Beispiellos vermitteln ihn gerne an Journalisten als einen, der es geschafft hat, „trockener Spieler“ zu werden. Nur „trocken“, denn ganz los wird man die Sucht nie, sagt Frank, ein unauffälliger Mann in Jeans und Pullover, der im wirklichen Leben anders heißt, aber lieber anonym bleiben will.

Pech gehabt und gewonnen

Frank hat gerade Mittagspause und drängelt sein Auto durch dichten Innenstadtverkehr. Er überholt einen Bus, blinkt, fährt über Gelb, fängt an: „Das Spiel steckt in mir drin. Das war schon als Kind so.“ Er habe immer gern Karten gespielt, gepokert, aber auch Tischtennis gespielt und Gesellschaftsspiele. Dann habe ihn einmal ein Freund im Jahr 1999 in eine Automatenspielbank mitgenommen. „Und da hatte ich dann das Pech, zu gewinnen“, erklärt Frank achselzuckend. Als sei es tatsächlich ein schlechter Treppenwitz des Lebens, dass alles Schlimme, was danach kam, mit dieser einen zufälligen Begebenheit seinen Anfang nahm.

Zuerst gewann Frank 2.000 D-Mark. Bei einem weiteren Besuch in der Spielbank sechs Wochen später gewann er noch einmal 800 – da fing die ganze Sache natürlich an, Spaß zu machen. Frank schien eine wunderbar leichte Methode gefunden zu haben, schnell viel Geld zu verdienen. Er spielte weiter. Bis er verlor. Und noch mehr spielte, um die Verluste auszugleichen. „Und da kehrt sich der Spieß natürlich um!“, ruft Frank, haut mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Die Spirale, die ihn für die nächsten Jahre im Griff haben sollte, setzte ein.

Frank hat allen Leuten, die er kennt, erzählt, was mit ihm los war. Er hat regelmäßig die Gruppensitzungen im Beispiellos besucht. Er lügt nicht mehr

Einmal hat ihn seine Freundin erwischt. Frank stand in der Spielbank und warf Münzen in ein Automatenspiel, da packte die Freundin ihn plötzlich von hinten am Arm und stellte ihn zur Rede. Sie war ihm gefolgt. Frank hätte das eigentlich eine Warnung sein können, er hätte sich eingestehen können, dass da etwas außer Kontrolle geraten war. Aber er nahm das Ganze stattdessen lieber auf wie eine neue Runde beim Poker. Er guckte seiner Freundin in die Augen, beruhigte sie und stritt alles ab, versprach: „Ich spiel nie mehr, ich hab’s im Griff!“

Ein Dreivierteljahr ging das gut. Dann war Frank wieder regelmäßiger Besucher in den Spielbanken am Potsdamer Platz, im Hotel Steigenberger, am Alexanderplatz. Er war eigentlich immer im Spiel gewesen, er war nur kurz rausgeflogen. Manchmal spielte er zwölf Stunden hintereinander, manchmal verlor er 500 Euro in zehn Minuten. Es kam vor, dass er 6.000 Euro an einem Abend verspielte, dass er immer mehr Geld abhob, bis der Geldautomat sagte: „Keine Auszahlung mehr möglich“.

Der Geschäftspartner seiner Firma sprach Frank an. Er hatte an den Kontoauszügen gesehen, dass regelmäßig hohe Beträge vom Firmenkonto abgingen. Frank leugnete. Er ging inzwischen manchmal dreimal die Woche in die Spielbank, der geringste Anlass reichte ihm als Entschuldigung aus. Eine fatale Leichtfertigkeit hatte sich seiner bemächtigt. Er belog seine Freundin, schob Geschäftstermine vor, wenn er zu den Automaten wollte. „Ich hab immer eine Möglichkeit gefunden, alles zu verschleiern“, knurrt Frank.

Irgendwann im Juni 2007 saß Frank alleine in seiner Wohnung. Eine Woche lang. Die Freundin hatte die vierjährige Tochter geschnappt und war gegangen. „Ich konnte mich nicht mehr im Spiegel angucken“, erzählt er. Er saß in der Wohnung und sagte sich: „Jetzt hast du den Kanal voll!“ Es war der Moment, in dem er beschloss, mit dem Lügen aufzuhören, er nahm sein Telefon in die Hand und rief bei der Caritas an.

Frank lächelt. Er sitzt jetzt im Café Beispiellos in einem der Lederstühle im Raum für die Gruppensitzungen, eine Caritas-Mitarbeiterin hat eine Thermoskanne mit Kaffee hingestellt, die Sonne scheint durch den Lamellenvorhang, sein Auto steht draußen auf dem Parkplatz.

„Ich konnte mich nicht mehr im Spiegel angucken“, sagt Frank. Er saß in der Wohnung und sagte sich: „Jetzt hast du den Kanal voll!“

Reden als Barriere

Frank hat alles so gemacht, wie es ihm die Mitarbeiter vom Café vor zwei Jahren geraten haben. Sein Geschäftspartner geht jetzt jeden Morgen mit ihm die Kontoauszüge durch. Frank hat allen Leuten, die er kennt, erzählt, was mit ihm los war. Er hat regelmäßig die Gruppensitzungen im Beispiellos besucht. Er hat sich ziemlich reingehängt, seine Firma wieder zum Laufen zu bringen. Er lügt nicht mehr. Er verbringt eine Menge Zeit mit seinen Kindern.

Frank wippt im Stuhl, trommelt nervös mit den Fingern auf seinem Knie. Die Kaffeetasse ist leer. Was soll er noch sagen? Er muss gleich wieder los ins Büro. Vorher im Auto hat Frank erzählt, er rede mit Journalisten, weil das auch so eine Sache ist, die für ihn die Barriere ein Stückchen höher hängt. Frank ist ein Spieler, aber es sieht so aus, als hätte er noch rechtzeitig die Kurve gekriegt.