Mission not accomplished

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Zweite Amtszeiten amerikanischer Präsidenten sind aus historischer Sicht oft tückisch. Skandale trüben das Vermächtnis, an dem man bereits zu feilen begonnen hat, siehe Nixon, Reagan oder Clinton. Oft beginnen sie mit großen Worten und enden mit wenig Taten. Solche Präsidenten agieren mit angezogener Handbremse, nicht zuletzt aufgrund der Skandale. „Lame Duck“, lahme Ente, werden sie dann in den USA genannt.

George W. Bush will nicht zu diesem Kreis gehören. He thinks big. Und seine Agenda könnte ambitionierter kaum sein. Dabei waren schon die ersten vier Jahre nicht von Kleinkrämerei geprägt, einmal beiseite gelassen, ob es sich dabei um kluge politische Weichenstellungen handelte oder nicht. Er setzte die größte Steuersenkung seit Jahrzehnten durch. Er verabschiedete eine weitreichende Bildungsreform und die teuerste Ausweitung des staatlichen Gesundheitssystems für Senioren. Unter seiner Regie wurde das Heimatschutzministerium aus der Taufe gehoben. Nie ist der Staatsapparat seit Ende des Zweiten Weltkrieges so stark umgebaut worden. Auch in der Außenpolitik stellte er alte Regeln auf den Kopf – eine „neokonservative Revolution“ wollen manche erkennen. Für einen Mann, der sein Amt als „Zufalls-Präsident“ begann, ohne recht zu wissen, was er – außer Steuern zu senken – damit anfangen sollte, hat er das Antlitz Amerikas und der Welt schon jetzt dramatischer verändert als viele seiner Vorgänger. Doch das reicht ihm offenbar nicht.

Bush treibt eine Mission. Er will das Wirtschafts- und Sozialsystem umbauen. Konkret heißt das, die Rentenversicherung teilweise privatisieren, die Steuergesetzgebung vereinfachen und das Schadensersatzrecht reformieren. Sein Ziel ist es, Amerika als Wirtschaftsstandort wieder attraktiver zu machen und die Rolle des Staates im Sozialbereich zurückzudrängen.

Am Irak wird er beurteilt

Nicht minder ehrgeizig sind seine außenpolitischen Vorstellungen. Der Nahe und Mittlere Osten soll auf den Pfad der Demokratie geführt werden. Nur so könne nach seiner Ansicht in der Region langfristig Stabilität geschaffen und Terrorismus effektiv bekämpft werden. Gleichzeitig festigt Amerika als Schutzmacht seine Rolle als Hegemonialmacht.

Doch Bush wird zuallererst danach beurteilt werden, ob es ihm gelingt, die USA vor Terroranschlägen zu bewahren und den Irak zu befrieden. Sollte es ein neues verheerendes Attentat geben oder das Land im Bürgerkrieg versinken, dürfte das Urteil rasch gefällt werden. Um erfolgreich zu sein, sagt Richard Kohn, Historiker und Sicherheitsexperte an der University of North Carolina in Chapel Hill, müsse Bush die US-Geheimdienste umkrempeln, die radikalen Kräfte im Islam von der Mehrheit der muslimischen Bevölkerung zu trennen wissen, die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern intensivieren und Anstrengungen vervielfachen, damit die Weiterverbreitung von ABC-Waffen gestoppt werde.

Dabei dürfte internationales Entgegenkommen mit Bushs Bereitschaft wachsen, Fehler einzugestehen. Doch die Signale sind hier nicht ermutigend. Bush sieht sich in seiner Irakpolitik durch das Wahlergebnis bestätigt, wie er vor wenigen Tagen der Washington Post in einem Interview mitteilte. Er glaube, dass die Menschen über die US-Intervention „wirklich glücklich“ sind. Auch die jüngsten Spekulationen und Äußerungen über Militäraktionen gegen den Iran deuten auf keinen Sinneswandel und irritieren die Europäer, die noch vor kurzem eine Charmeoffensive des Weißen Hauses erkannt haben wollten. Sicher ist es fraglich, ob angesichts der katastrophalen Lage im Irak US-Bevölkerung und Kongress einen neuen Waffengang absegnen werden. Andererseits verstanden es Bush & Co. in der Vergangenheit noch jedes Mal, eine Bedrohung herbeizureden. Doch Militärexperten glauben, Bush habe sich mit dem Irakabenteuer so sehr verhoben, dass ihm für weitere Kriegszüge schlichtweg die Ressourcen fehlen.

Wenig Spielraum sehen Experten auch in der Finanzpolitik. Bush will die radikalen Steuersenkungen, die bislang nur bis 2010 gelten, festschreiben. Es ist jedoch unklar, ob das Parlament dies angesichts wachsender Kriegs- und Militärausgaben sowie eines Rekordhaushaltsdefizits absegnen wird. Der andere Plan, das Steuerrecht zu vereinfachen, wird zwar allgemein begrüßt, liegt aber noch auf Eis. Bush muss warten, bis eine von ihm eingesetzte Kommission entsprechende Vorschläge unterbreitet. Ob es ihm wie angekündigt gelingt, die Staatsverschuldung zu halbieren, muss mit Skepsis betrachtet werden. Bush ist alles, nur kein nachhaltiger Fiskalpolitiker.

Bushs wichtigstes innenpolitisches Projekt soll die Reform der staatlichen Rentenversicherung werden. Sie sieht vor, dass jüngere Arbeitnehmer einen Teil ihrer Rentensteuer behalten und auf Privatkonten für die Altersvorsorge anlegen können. Die aktuellen Rentenzahlungen werden jedoch aus den laufenden Beiträgen finanziert. Sinken diese, droht ein gewaltiges Loch in der Rentenkasse. Wie die Transformation daher finanziert werden soll, steht in den Sternen.

Nummer zwei auf Bushs Reformagenda ist das Schadensersatzrecht. Die Klagen in diesem Bereich sind über die Jahre exorbitant gestiegen und kosten die US-Wirtschaft rund 230 Milliarden Dollar jährlich – weit mehr als in anderen Industrienationen – und schrecken ausländische Investoren ab. Prozesse wie der um die gesundheitsschädlichen Temperaturen von Heißgetränken bei McDonald’s haben viele Nachahmer gefunden und werden in den USA als unsinnig und übertrieben wahrgenommen. Viele Klagen sind jedoch noch immer auf mangelnde unternehmerische Verantwortung zurückzuführen. Bush will den Klageweg erschweren und Obergrenzen für Kompensationsleistungen festlegen – ein Schritt, der Industrievertreter erfreut und von Kritikern als Wahlgeschenk an seine Gönner in der Wirtschaft betrachtet wird. Die Chancen auf einen Kompromiss im Kongress stehen günstig.

Anders sieht es bei der inneren Sicherheit aus. Der „Patriot Act“, jenes Gesetzespaket, das nach dem 11. September hastig verabschiedet wurde und Ermittlungsbehörden weitreichende Befugnisse erteilt, ist nur noch bis Ende des Jahres gültig. Viele Konservative wollen ihn einfach verlängern. Doch unter Demokraten und moderaten Republikanern regt sich Widerstand. Sie sehen fundamentale Bürgerrechte ausgehebelt. Es ist daher denkbar, dass das Gesetz modifiziert wird.

Homoehe ist kein Thema mehr

Verworfen hat Bush offenbar nach numerischer Prüfung der Stimmverhältnisse im Kongress sein Ansinnen, die Ehe als alleinige Gemeinschaft zwischen Mann und Frau in der Verfassung zu verankern. In Washington glaubt man bereits, dass es sich im vergangenen Jahr bei dem ganzen Getöse über die Schwulenehe um ein wahltaktisches Meisterstück handelte. Bushs Rückzieher zeigt jedoch auch, dass er durchaus gewillt ist, sich mit der konservativen Basis anzulegen, die mit dem Thema Homoehe die Republikaner an die Wahlurnen getrommelt hatte.

Pläne, die innerhalb der Republikaner, insbesondere unter der „Law-and-Order“-Fraktion, ebenfalls für Unmut sorgen dürften, betreffen die Einwanderungspolitik. Bush will einem Großteil der illegalen Immigranten eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gewähren, sollte ein Arbeitgeber in den USA nachweisen, für seine Jobs keine Amerikaner gefunden zu haben.

Er will den großen Wurf

Für alle innenpolitischen Vorhaben braucht Bush den Kongress. Er darf hoffen, schließlich verfügen seine Republikaner über die Mehrheit in beiden Häusern. Doch Machthunger und das Gefühl, einen konservativen „New Deal“ schmieden zu können, reichen nicht. Sie müssen Demokraten in ihr Boot ziehen. Die Opposition, wenn auch geschwächt, hat ein gewichtiges Wörtchen mitzureden und kann viele Gesetzesinitiativen blockieren. Derzeit präsentiert sie sich auffallend geschlossen. Einer Rentenreform à la Bush hat sie eine klare Absage erteilt.

Zudem gilt nirgendwo so sehr wie hier: nach der Wahl ist vor der Wahl. In anderthalb Jahren müssen sich Mitglieder des Abgeordnetenhauses wieder dem Volk stellen. Da das Thema Rente sozialen Sprengstoff birgt, blicken so manche Republikaner nervös ins neue Jahr. Und nicht wenige davon werden versuchen, ihre Haut zu retten, indem sie sich gegen Bush profilieren.

Auch das Volk begegnet Bushs Plänen zu dessen Amtsantritt mit sehr gemischten Gefühlen. Mit der geringsten Zustimmungsrate eines wiedergewählten Präsidenten seit 60 Jahren geht er in die zweite Runde. Das Land ist so polarisiert wie vor vier Jahren. Anders als Bush nach seinem Wahlsieg gerne verlauten ließ, besitzt er kein überwältigendes Mandat für seine Politik, wenn auch ein deutlicheres als im Januar 2001.

Dennoch will er den großen Wurf. Seine Agenda ist so überladen, dass ihm manche Polit-Propheten vorhersagen, der Misserfolg sei unvermeidlich. Sollte er jedoch auch nur einige der innenpolitischen Kernvorhaben durchsetzen, könnte er mit seiner konservativen Umwälzung seinen Mentor Ronald Reagan in den Schatten stellen. Der hatte sich allerdings den Zusammenbruch der Sowjetunion auf die Fahnen schreiben können. Der Irak hingegen droht für Bush immer mehr zu einem zweiten Vietnam zu werden.