Der homosexuelle Mann … und sein angeblich dunkles Geheimnis

Ein Münchner Modemacher wollte nicht beichten, dass er schwul ist. Das nimmt ihm die gesamte deutsche Weltpresse übel. Der Fall Moshammer. Ein Abschlussbericht

Der Mann muss weg, raus. RTL hat zu tun, da gibt es noch Moshammer-Szenen in der „Ultimativen Chart Show“, in „Die größten TV-Hits aller Zeiten“ und in der „90er-Jahre-Show“, alles noch ungesendet, die Schere muss ran. Die ARD hat die Moshammer-Folge aus der Doku-Soap „Hausbesuche“ auf Eis gelegt, und Nestlé stoppte umgehend ihre „Nescafé Cappuccino“-Kampagne mit Moshammer. Der Mann ist tot.

Aber sein Abgang war groß, à la bonheur! Kein Autounfall, kein Sturz von der Küchenleiter, nein, ein wirklicher Mord, stranguliert, von hinten, von einem Stricher, einem aus der untersten Kaste. Stoff genug für viele Boulevard-Schlagzeilen, für einen Stern-Titel, für die Bunte sowieso. Und die Hochzeit für die Poeten des Schmierenjournalismus: das „tragische Ende eines Doppellebens“ (dpa) und „er suchte die Liebe, wo München am dunkelsten ist“ (Bunte), „ganz unten im Milieu der Homosexuellen“ (Spiegel), als „Lumpensammler der Liebe“, getrieben nach „rostigen Lippen und harten Männerkörpern“ (Bild). Ein Feuerwerk der Klischees und Vorurteile. Und: So gar nichts habe man darüber gewusst, ja, gemunkelt schon, aber „er hat sein Outing nie vollzogen“ (Welt), sich „öffentlich nie bekannt“ (dpa), „hatte nie den Mut, sich zu bekennen“ (Süddeutsche Zeitung) – keine Beichte, das nehmen sie ihm übel jetzt. Und zerren die vermeintlich geheime Seite ans Licht. Voller Heuchelei, das ist ihre Rache.

Dabei hat er ihnen die Tunte gegeben wie kein Prominenter vor ihm, mehr als 30 Jahre lang, hat seine manikürten Finger vor ihnen gespreizt, die Haare nachtschwarz lackiert, ihr hämisches Grinsen ertragen. „Paradiesvogel“ hieß das in ihrer Sprache. Doch niemand will etwas gewusst haben vom Leben dahinter? Die öffentliche Verdrängung gelingt perfekt, so als müsste man beim Ableben von Roberto Blanco plötzlich feststellen, dass man es zeitlebens mit einem Schwarzen zu tun gehabt hat. Moshammer spielte für sie den schrillen Hofnarren, die dralle Trine aus der Maximilianstraße – aber kein Wort darüber. „Erst mit seiner Ermordung wird deutlich, dass es da noch eine düstere, furchtbare Seite gab, über die man nicht zu viel wissen will“, bekennt Carl Graf Hohenthal in der Welt.

Nur so konnte Rudolf Moshammer seinen Platz halten in der Öffentlichkeit, niedergeschwiegen und heimlich verachtet, aber Premium-Futter für die Fotografen. Und er hat jede Chance genutzt, diente sich den Boulevard-Redaktionen an, machte sich lächerlich auf der Eurovisions-Bühne, schleppte ein geföhntes Bündel Hund mit Schleife durch die Gegend, hochstapelte als „Modezar“ mit geleastem Rolls-Royce – Anerkennung und Respekt, dachte er, bekomme er nur, wenn er eine Fassade hochziehe, deren Glanz jedem das böse Wort abschneidet.

So war Rudolph Moshammer, ein ganz gewöhnlicher Homosexueller. Dafür verachtete er sich, Homosexualität war ihm ein Unfall der Natur, der sich nicht mehr reparieren ließ, nur Tünche drauf, Puder und Farbe und schwere Stoffe mit Bommeln und Schleifen. Da war nicht einmal mehr zu ahnen, wie viel Schmutz sich darunter verbarg. Einmal am Ende der Siebzigerjahre, da zog ein Trupp aufgeweckter Schwuler demonstrierend an seinem Laden in der Maximilianstraße vorbei, und er kam vor die Tür und beschimpfte sie, wie die Bürger es taten. Er hatte sich entschieden, schwul sein wollte er nie, aber geliebt werden, ohne Einschränkung.

Und die Schwulen? Heuchelei und Doppelmoral auch bei ihnen. Sie haben Moshammer nie gemocht, die barocke Tunte war untauglich als role model, und zwingt ihnen jetzt auch noch einen Blick hinter ihre Kulissen auf. Da kann man nur in Deckung gehen: „Moshammer war ganz und gar nicht typisch für die Schwulen in München“, sagt Münchens schwuler Stadtrat Thomas Niederbühl. Distanzierung auch in den Erklärungen des „Bund Lesbischer und Schwuler Journalisten“: „Schwule, Lesben und Stricher – gehören die etwa zusammen?“ Neeeiiiin! Außerdem „gibt es weitaus mehr heterosexuell Veranlagte, die die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, als Schwule“, – was für eine Milchmädchenrechnung! Die gesamte Infrastruktur des homosexuellen Milieus wird getragen von den Säulen Sex und Geld, doch das darf keiner wissen. Es ist gerade mal ein paar Jahre her, dass das ramponierte Schwulenimage aufpoliert wurde mit Homo-Ehe, Wowereit und Westerwelle – das lässt man sich von einem Moshammer nicht wieder kaputt machen.

Nein, die Schwulen trauern nicht, da ist keiner der ihren getötet worden, nicht so einer. Sie trauern so wenig wie die anderen, die ihn auch nicht haben wollten in ihrer Mitte, auch wenn er sich noch so drängte. „Bei aller Liebe zu Mosi“, schreibt gewohnt eiskalt Franz Josef Wagner in der Bild, „ich weine nicht.“

ELMAR KRAUSHAAR