Olympia kühlt sich ab

Seit ein internes Konzeptpapier auf rätselhafte Weise bei einer Zeitung landete, steht wohl fest: München will sich um die Olympischen Winterspiele 2014 bewerben – mit guten Aussichten

Ortsübliche Mischung aus Realitätsnäheund fröhlichem Größenwahn

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

Also wirklich: „Der alte Bock, den wir da haben, taugt langfristig nichts mehr.“ Da nimmt Christian Neureuther kein Blatt vor den Mund. Mit dem Bock, also der alten Skisprungschanze in Garmisch-Partenkirchen, ist einfach kein Blumentopf mehr zu gewinnen, da muss für 2014 dringend was Neues her – meint Neureuther. Sonst allerdings, so verkündet das einstige Ski-As jüngst unisono mit Ehefrau und Olympiasiegerin Rosi Mittermaier, gebe es eigentlich keine Probleme, wenn sich München samt Umland für die Winterspiele in zehn Jahren bewerben würde.

Wäre es bloß so einfach: Seit die Münchner Boulevardzeitung tz vor einigen Tagen ein internes Papier zutage förderte, auf dem mehrere Wintersportverbände die Tauglichkeit der Region München als Veranstalter der Winterspiele 2014 skizzierten, herrscht helle Aufregung – bei den Medien, bei den Verbänden und insbesondere im Nationalen Olympischen Komitee (NOK). Dort war man über den plötzlichen Vorstoß aus dem Süden zunächst höchst verärgert – denn nach dem sang- und klanglosen Scheitern von Leipzig als Kandidat für Olympia 2012 wollten die Funktionäre laut NOK-Vizepräsident Clemens Prokop eigentlich „zunächst unsere Priorität festlegen: Will Deutschland Sommer- oder Winterspiele?“ Wobei Prokop eine klare Meinung hat: „Winterspiele sind eine tolle Sache, aber Sommerspiele haben eine höhere Wertigkeit.“

NOK-Präsident Klaus Steinbach wollte jegliche Spekulation gar zurückstellen, bis das Internationale Olympische Komitee (IOC) Anfang Juli entscheiden wird, wer 2012 Gastgeber der Sommerspiele sein wird. Bekommt eine europäische Stadt – Moskau, London, Paris und Madrid sind neben New York noch im Rennen – den Zuschlag, dann wäre die Kandidatur von Hamburg oder Berlin für 2016 wenig chancenreich, weil eher ein anderer Kontinent zum Zuge käme. Scheitern die Europäer aber, wäre für 2016 alles möglich.

Doch für derlei Taktieren ist es nun zu spät. Obwohl das NOK erst in der kommenden Woche zur ersten Sitzung dieses Jahres zusammentrifft und eine formelle Bewerbung erst bis zum 28. Juli 2004 beim IOC vorliegen muss, ist München bereits mittendrin im Wettbewerb – was auch Manfred von Richthofen konstatierte, als Chef des Deutschen Sport-Bundes (DSB) einer der mächtigsten sportlichen Amtsträger hierzulande. Er befand, dass die „deutschen Olympia-Chancen für Winterspiele ungleich höher sind als für Sommerspiele“, und legte sich schon mal fest: „München mit seiner Umgebung ist für Winterspiele geradezu prädestiniert.“ Dass DSB und NOK zur Zeit um die Vorherrschaft in einem zukünftig wahrscheinlich fusionierten Verband streiten, könnte die gegensätzlichen Positionen noch verstärkt haben.

Entgegen ersten Presseberichten liegt eine detaillierte Machbarkeitsstudie allerdings noch lange nicht vor. Bislang existiert lediglich das dreiseitige Grobkonzept der Wintersportverbände – was die Süddeutsche Zeitung bereits über die „heiße Luft um München“ höhnen ließ. Doch trotz des Verweises auf die dilettantischen Planungen bei der Kandidatur Leipzigs, das nicht mal die Bettenkapazität ordnungsgemäß angeben konnte, scheint solcher Spott voreilig.

Denn bei aller Kritik am scheinbar höchst ungeschickten und nicht abgestimmten Vorgehen von NOK, DSB und den Wintersportverbänden fand sich bislang niemand, der München die Eignung als Veranstalter von Winterspielen absprechen wollte. An der Bettenkapazität wird in der Oktoberfest-erprobten Bayernmetropole sicher nichts scheitern, und die Wintersportanlagen im Münchner Olympiapark sowie dem Münchner Umland sind zum großen Teil bereits vorhanden und müssen allenfalls modernisiert werden – mal abgesehen vom alten „Bock“ der Skisprungschanze in Garmisch, die bereits bei den Winterspielen 1936 in Betrieb war.

Ein Nachteil gegenüber den voraussichtlichen Mitbewerbern Salzburg oder Innsbruck sowie Pyongcheang in Südkorea könnten die weiten Wege von bis zu 150 Kilometern zwischen München, Inzell (Eisschnellauf), Königssee (Bob, Rodeln), Ruhpolding (Biathlon) und Garmisch-Partenkirchen (Ski alpin) sein – doch andererseits werden die Verkehrsverbindungen rund um die Landeshauptstadt mit Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ohnehin zur Zeit mit Hochdruck ausgebaut, und eine Erweiterung der Autobahnen und Fernstraßen Richtung Süden ist im Bundesverkehrswegeplan schon vorgesehen.

Einigen werbewirksamen Charme besitzt zudem der Gedanke, dass die Spiele nach 1972 zumindest mit Eröffnungs- und Schlussfeier noch einmal ins Münchner Olympiastadion zurückkehren könnten. Diese reizvolle Perspektive nährt im Übrigen hartnäckig das Gerücht, das für den internen Gebrauch bestimmte Konzept sei dank einer gezielten Indiskretion der Münchner Olympiapark GmbH an die Öffentlichkeit geraten. Schließlich sucht die Betreibergesellschaft der architektonisch wertvollen Kunstlandschaft nach dem Auszug des Fußballs im kommenden Sommer händeringend nach Alternativen, um das Stadion nicht zu einem Baudenkmal mit gelegentlichem Konzertbetrieb verkommen zu lassen.

Der Unterstützung ihres Oberbürgermeisters können sich die Betreiber zumindest gewiss sein. Mit der ortsüblichen Mischung aus bescheidener Realitätsnähe und fröhlichem Größenwahn versprach Christian Ude – der sich wiederum bereits ein wohlwollendes Nicken von Ministerpräsident Edmund Stoiber eingeholt hat – nichts zu tun, „was als vorlaut erscheinen könnte, um das NOK nicht unter Druck zu setzen“. Und setzte mit aller Selbstverständlichkeit hinzu, „dass eine Münchner Bewerbung nicht zu toppen wäre“.

Genau das scheinen die potenziellen Konkurrenten im eigenen Lande auch zu fürchten. Hamburg und Berlin haben sich im Gegensatz zu München, dem notorischen Musterknaben unter den deutschen Großstädten, mit ihren bisherigen Olympia-Avancen blutige Nasen eingefangen – entsprechend knapp fielen die Kommentare an Elbe und Spree aus. Hamburgs Oberbürgermeister Ole von Beust ließ verlauten: „Wir werden unabhängig von den Münchner Ideen die Sportstadt Hamburg positionieren.“ Ein Berliner Senatssprecher witzelte hingegen mit Galgenhumor: „Berlin kann sich auch um Winterspiele bewerben – mit Skirennen auf dem Teufelsberg.“ Es wäre die kürzeste Abfahrt der olympischen Geschichte – der Hügel ist 110 Meter hoch.